Mit wem sprechen wir in dieser Folge?
Julia Collard und Sven Schnitzler.
Aus welchem Bereich kommt unser.e Gesprächspartner.in?
Julia Collard und Sven Schnitzler sind Betreiber.in des Netzwerkblogs „Doppeltspitze“ und zwei Menschen, die als genau diese Doppelspitze seit 2015 die Bereiche Vertrieb & strategisches Marketing sowie die Business School der Europäischen Fachhochschule (EU|FH) leiten.
Wo haben wir mit ihnen gesprochen?
An der EUFH Europäische Fachhochschule in Neuss.
Was Julia über sich sagt:
Ich bin Julia Collard, habe Volkswirtschaftslehre studiert, danach – ganz klassisch - bei einer Bank gearbeitet und war dann – für die heutige Zeit - ganz lange in Babypause (vier Jahre). Es ergab sich, dass die Europäische Fachhochschule einen Standort in Brühl aufmachte, und ich überlegte, dort vielleicht nebenbei ein paar Stündchen zu arbeiten. Aus den paar Stündchen als Assistentin der Geschäftsführung wurden dann immer mehr Stunden. Nach ungefähr zehn Jahren, in denen ich in Teilzeit gearbeitet hatte, ergab sich die Gelegenheit, ins Marketing zu wechseln. Ganz einfach war die Gelegenheit nicht, es war ein ganz schön harter Kampf zu dem Zeitpunkt. Ich war überhaupt nicht im Marketing angesiedelt, doch es herrschte Not am Mann, und so dachte ich erst einmal, ich würde das übergangsweise machen. Dieses Übergangsweise hat sich mittlerweile zu dreieinhalb Jahren entwickelt, und ich arbeite seitdem auch wieder Vollzeit. „Nebenbei“ habe ich zwei Töchter, die aber 16 und 18 Jahre alt sind und Mama nicht mehr Tag und Nacht brauchen.
Was Sven über sich sagt:
Mein Weg war nicht so gradlinig wie bei Julia. Ich komme ursprünglich aus der Gastronomie, war jahrelang als Koch tätig. Nach fast zehn Jahren bekam ich eine Berufskrankheit bzw. hatte einen kleinen Unfall in der Küche, der mich dazu zwang, meinen Beruf nicht mehr ausüben zu dürfen/zu können. So nahm ich an einer Umschulung teil. Hierbei galten viele Richtlinien, an die ich mich halten musste, sodass ich meinen Weg nicht wirklich frei wählen konnte. Ich durfte nur noch in sterilen, sauberen Räumen arbeiten. Mir wurde daher die Umschulung zum Bürokaufmann vorgeschlagen und bewilligt. So kam es, dass ich an der Europäischen Fachhochschule als Umschüler einstieg, dort diese zweite Lehre erfolgreich abgeschlossen und in Gesprächen hieß es dann, ich könnte gerne ins Marketing gehen bzw. dort bleiben, denn meine Umschulung hatte im Bereich Marketing begonnen. Das gefiel mir gut, denn Kreativität ist genau meins. An diesen Punkt verankerte ich mich, denn Kreativität, Marketing, Küche, darin konnte ich mich wiederfinden. Nach der zweijährigen Umschulung fragte ich mich, was und wie ich weitermachen könnte, biss in den sauren Apfel und begann ein Studium. Dieses berufsbegleitende Studium ebnete mir den Weg, und so kommt es, dass wir heute hier zusammen sitzen.
Wie seid ihr in diese gemeinsame Position gerutscht?
« Okay, dann geh ich halt mal ins Marketing.»
Julia: Ich war im Hochschulmanagement als rechte und linke Hand des Geschäftsführers. Wenn Not am Mann war, sprang ich dort ein. Die alte Marketingleitung war gegangen, und mit der neuen klappte es nicht wie erwartet. So kam es, dass ich im Marketing landete. Ich hatte zwischendurch das Prüfungsamt und einen Studiengang geleitet und dachte mir: Okay, dann geh ich halt mal ins Marketing.
Das Team dort befand sich in Auflösung, in langen Gesprächen erklärten mir die Mitarbeitenden, warum sie nicht mehr an der EUFH arbeiten wollten. Das machte mir große Sorgen, denn wir sind eine private Hochschule, und ohne Marketing finden wir keine Studierenden. Das versuchte ich dem Geschäftsführer klarzumachen. Er jedoch war hin- und hergerissen, fühlte sich mein potenzieller Wechsel vom Hochschulmanagement ins Marketing für ihn doch wie ein Ehebruch an.
Ich hatte von Anfang an gesagt, dass ich die Aufgabe auf keinen Fall alleine übernehmen würde. Für mich stand fest, dies nur zusammen mit Sven zu machen. Das hat so wirklich niemand verstanden, denn keiner wusste, was wir aneinander fanden.
Zwischenfrage an Sven: Hast du es verstanden?
Nein, gar nicht. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich noch im Bachelorstudium. Wie Julia sagt, diese Zeit war sehr chaotisch und sehr hart. Das Marketingteam bestand aus jungen Menschen, aus Trainees, und es war zu sehen, wie die Unsicherheit aufstieg, und es war zu spüren, dass man mit Anfang 20 keine Lust hat, da zu arbeiten. Das kannte ich nicht und so gab es diverse Gespräche. Ich hatte mich sehr distanziert und nur sachlich gesprochen, und das war der Zeitpunkt, zudem wir merkten, dass wir miteinander reden konnten. Ich sprach mit Julia sachlich, wurde gehört, sprach für das Team, und Julia merkte, dass ich mich noch mit der EUFH verbunden fühlte.
« Ganz oder gar nicht»
Julia: Sven sagte mir ganz klar, dass ich diesen Job entweder ganz oder gar nicht machen sollte. Nicht ein wenig Marketing und dann wieder zurück. Damit hatte ich im ersten halben Jahr so meine Schwierigkeiten.
Im Dezember liefen wir stundenlang über Weihnachtsmärkte, durch einen Park und versuchten so, den Kopf freizubekommen und Lösungen zu finden. Und an einem besonders geselligen Abend, auf einer Weihnachtsfeier, sagten wir uns: Komm, wir ziehen das durch, wir machen das, wir kriegen das irgendwie hin!
Dennoch hatte ich im Hinterkopf, dass das nicht Svens Job war, dass er, sobald man ihm eine Küche vor die Nase setzte, gehen würde.
Zwischenfrage an Sven: Hattest du das auch eine Zeitlang noch so empfunden?
Sven: Ja, so habe ich das auch empfunden, natürlich.
Julia: Bis wir unsere Entscheidung letztendlich bei der Geschäftsführung mit allem Drum und Dran, Vertrag, Gehälter, wirklich zu zweit und ja, komplett, wir machen wirklich genau das Gleiche, durchgekriegt hatten, hat es fast ein Jahr gedauert. Und selbst heute scheinen einige Menschen das noch nicht wirklich glauben zu können.
Wie hat sich diese gemeinsame Rolle bis heute entwickelt? Was ist heute eure Aufgabe? Wofür übernehmt ihr Verantwortung?
Julia: Es gibt ja immer diese zwei Richtungen. Als Abteilungs-/Bereichsleiter.in stecken wir tatsächlich auch nach wie vor in einer Sandwichposition: nach unten gibt es ein Team, nach oben eine Geschäftsführung. Nach oben hin besteht unsere Rolle in der strategischen Weiterentwicklung der Hochschule, Kopf hinhalten für Zahlen und Abstimmung, was die Personalentwicklung angeht.
Sven: Das ist der größte Teil. Da das Team in den letzten drei Jahren stark gewachsen ist, haben wir sehr viel mit Personal zu tun. Das ist sehr spannend, und wir können und wollen uns da nicht rausziehen. Wir wollen mitentwickeln und genießen es, mit dem Team zusammenzusitzen und etwas Neues zu kreieren. Das macht es aus, das macht total Spaß, auch wenn wir natürlich die Zielzahlen immer im Blick haben.
Sicherlich ist es für einige Menschen schwer vorstellbar, dass ihr euch eine Position teilt. Wie organisiert ihr euch in eurer geteilten Rolle? Was macht ihr vielleicht anders als doppelte Führungsposition als eine einzelne Führungskraft?
Julia: Zuerst muss ich vorwegschicken, dass wir kein klassisches Jobsharing-Tandem sind, da wir beide in Vollzeit arbeiten. Am Anfang haben wir uns gar nicht aufgeteilt, sondern sind überall hin zusammen gegangen. Macht ihr jetzt wirklich alles zu zweit? Sind das jetzt zwei Menschen, die auch beide bezahlt werden?, wurden wir zu der Zeit oft gefragt. Doch zu Beginn mussten wir erst einmal alles zu zweit machen. Sven steckte tief im Marketing und war im Team sehr angesehen, während ich für das Team von oben, aus der Spitze der Geschäftsführung, kam. Umgekehrt hatte ich den Draht zur Geschäftsführung, zu Professor.innen und nach oben hin. Von Sven hatte man zu diesem Zeitpunkt auf dieser Ebene kein Bild.
Sven: Meine Vorgängerin, die ihren Job sehr gut gemacht hatte, war sehr präsent beim Geschäftsführer gewesen, doch ich hatte wenige Berührungspunkte mit zum Beispiel den Professor.innen. Das war ein Silo, anders kann man es nicht nennen. Julia hingegen war überall bekannt und geschätzt. Bei mir wusste man nur, dass ich einen anderen Hintergrund habe. Für manche war das gar kein Problem, was ich sehr schön fand. Für andere ist es aber ein Problem. Warum muss ich mich mit dir unterhalten, ich bin doch eigentlich … Den Rest kann man sich denken.
«Es redet ja keine.r mehr ehrlich miteinander»
Julia: Nach Meetings haben wir reflektiert, wie wir diese Besprechung jede.r für sich empfunden hatten und gemerkt, wie wertvoll diese Konstellation ist. Obwohl wir tatsächlich völlig unterschiedliche Hintergründe und Lebenswege haben, scheint es trotzdem so, als wären wir gleichzeitig am selben Punkt angekommen. Dabei läuft das Ganze ja auch noch zeitversetzt, denn ich bin dreizehn Jahre älter als Sven. Da kamen Gedanken auf wie: Schmeißt die ihre Karriere jetzt gerade hin, wenn die das mit dem zusammenmacht? Aber das war das, was uns so viel mehr gegeben hat. Einfach eine andere Sicht auf die Dinge zu hören, denn ab einer bestimmten Position gibt einem die keiner mehr ehrlich. Es redet ja keine.r mehr ehrlich miteinander. Unser Team ist super und sie tauschen sich auch miteinander aus, aber letztendlich muss man als Führungskraft irgendwann Entscheidungen treffen, die vielleicht auch mal nicht angenehm sind. Doch egal was es an kritischen Punkten gibt, wir können die Tür zumachen, miteinander reden und gehen dann motiviert wieder in die nächste Runde. Das funktioniert total gut.
Auch sind wir in vielen Sachen schneller zu zweit. Wir teilen uns zum Beispiel die Bearbeitung von Mails auf, und trotzdem weiß jede.r, was gerade passiert.
Gibt es auch etwas, das weniger gut funktioniert, wenn man sich eine Führungsposition teilt?
Sven: Das werden wir sehr häufig gefragt, haben aber bisher noch nichts gefunden. Wir haben kein Konkurrenzdenken, keinen Konkurrenzkampf. Aus meiner Erfahrung gab es immer unter Abteilungsleiter.innen einen Konkurrenzkampf, aber das haben wir einfach nicht. Es gab bisher noch keinen Punkt, an dem wir gesagt hätten: Hey, alleine hätte ich das besser hinbekommen oder wäre schneller erfolgreicher oder bei XZ anerkannter.
Julia: Das heißt nicht, dass wir immer der gleichen Meinung sind.
Sven: Nein, gar nicht. Aber davon lebt es ja auch.
Julia: Wir haben total unterschiedliche Herangehensweisen an manche Sachen. Ich nutze zum Beispiel Block und Stift, während Sven alles direkt im Notebook notiert. Aber das ergänzt sich auch sehr gut. Während ich noch das Buch hinter mir aus dem Schrank nehme, um etwas zu lesen, hat Sven ein YouTube-Video angeguckt. Das spiegelt auch unsere unterschiedlichen Zielgruppen perfekt wider. Wir haben sowohl die Trainees, die es spannend finden, wenn Sven mit ihnen über YouTube-Videos quatscht, und wir haben die Professor.innen, die uns für inkompetent halten, wenn wir nicht ab und an ein Buch in die Hand nehmen. Aber echt gezofft, haben wir uns noch nie.
Ich habe oft den Eindruck, dass unterschätzt wird, welchen Mehrwert das Teilen einer Position bringen kann. Dann wird die Frage gestellt, ob es nicht übertrieben ist, wenn sich zwei Vollzeitkräfte eine Stelle teilen, aber gleichzeitig ist der Mehrwert über den Austausch, den ihr habt, über das gemeinsame Reflektieren wahrscheinlich so wirkungsvoll, dass es fünfzehn Mal, zwanzig Mal kompensiert, dass ihr zwei Mal eine Vollzeitstelle seid.
Sven: Wenn wir etwas entscheiden, wiegen wir natürlich ab, ob es ins Budget passt, ist es zielgruppenspezifisch etc., aber manchmal ist eine Entscheidung auch eine Bauchentscheidung. Wenn ich die in meinem Kopf schon getroffen habe, und wir sprechen darüber und Julia trifft dieselbe Entscheidung, ist das ein gutes Gefühl. Wenn ich wüsste, ich bin alleine, spreche mit meinem/r Stellvertreter.in, ich wüsste nie, ob sie oder er nicht irgendwann an meinem Stuhl sägt.
Braucht von euch keine.r. Ihr sitzt ja zusammen drauf.
Julia: Genau. Und da ist ja auch die finanzielle Geschichte. Wir machen unter uns aus, wer was macht, würden aber in den seltensten Fällen nach außen kommunizieren, was eine.r besser kann als die/der andere. In unserem Team wüssten wahrscheinlich die wenigsten, wo unsere Stärken in unterschiedlicher Art und Weise liegen. Sie würden immer sagen: zusammen sind sie stark.
« Das ist mein Verständnis von Führung: Ich schaue mir die Person an und weiß, wie ich mit diesem Menschen umgehen kann»
Apropos Team. Wenn es um Führung geht, wie ihr an euer Team rangeht, aber auch mit Bezug auf die Themen, die ihr vorantreibt, wie würdet ihr da euer eigenes Verständnis beschreiben?
Sven: Ich denke, das Verständnis von Führung nimmt man immer für sich selbst mit. Wir lesen viel, wir unterhalten uns viel, und ich habe für mich beschlossen, dass ich keinen klassischen Führungsstil habe. Den gibt es für mich heutzutage auch gar nicht mehr. Wir sind so ein unterschiedliches Team, von den Charakteren und vom Alter her, sodass ich entweder situativ mit emotionaler Intelligenz führe oder ich führe gar nicht. Anders schaffen wir es auch nicht, die Leute zu motivieren. Das Team als Team zu führen, das ist für mich das Verständnis. Ich habe viel kennengelernt und wusste, dass ich so niemals würde werden wollen. Das war sehr lehrreich und gut. Ich lese sehr viel, und dann kommt eine Situation, ich schaue mir den Menschen vor mir an und denke: Niemals kann ich so reagieren. Das ist mein Verständnis von Führung: Ich schaue mir die Person an und weiß, wie ich mit diesem Menschen umgehen kann. Es ist nicht immer richtig, weil es ja auch nur mein Empfinden ist, wenn ich sage, ich gehe jetzt auf diese und jene Situation ein und lasse den Aufgabenbereich weg, weil ich merke, da drückt der Schuh.
Spielt da auch deine Erfahrung aus der Gastronomie mit rein?
Sven: O ja, das spielt eine große Rolle. Da herrscht ein anderer Ton, ein rauer Ton. Das Team ist ein Team, ist eine Familie. Das ist noch stärker als hier und sehr anders.
Und das sind die Aspekte, die du vielleicht nicht unbedingt mit in deine Führung spielen lassen willst.
Sven: Genau. Das wäre fatal.
Julia: Wobei, manchmal, wenn es so gar nicht funktioniert, droht Sven: Ich gehe jetzt mal rüber und mach Koch!
Alle lachen.
Seid ihr nah beieinander, was euer Führungsverständnis angeht? Ergänzt ihr euch da?
Julia: Ja, denn ich habe nie klassisch nach Führung gestrebt. Ich mache auch sehr viel intuitiv, und da ergänzen wir uns auf jeden Fall gut. Wir geben einander Feedback. Ich glaube, Führung kann man nicht lernen. Wir sehen das auch an unseren Studierenden, die Personalführung noch als Fach haben. Dort werden die Führungsstile klassisch gelehrt, und genau mit dem Verständnis schließen sie auch ihr Studium ab. Auf der anderen Seite leben wir in unserer schönen New-work-Blase, in der es angeblich keine Führung mehr gibt, und irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Wir führen unser Team nicht, weil wir es führen wollen, sondern weil wir ein bestimmtes Verständnis davon haben, wie man ein Projekt abschließt, wie man zusammenarbeitet und wie man Spaß an der Arbeit hat. Auf der anderen Seite sehen wir, dass gerade junge Menschen doch noch sehr stark nach Führung fragen. Sie möchten von unserem Wissen profitieren und verstehen, wie alles funktioniert. Aber – wie gesagt – ich habe für mich nie beschlossen, eine Führungsposition innezuhaben. Das hat sich so ergeben.
Bei mir spielt viel aus dem Bereich Erziehung mit in die Führung ein, was sich sicherlich auch an vielen Stellen ergänzt. Ich weiß eher, wie ich nicht führen möchte, als dass ich sagen kann, dass ich weiß, wie ich es machen möchte. Dafür habe ich genug schlechte Führung erlebt, bzw. Menschen, die nicht auf andere Menschen eingehen. Somit kann ich gar nicht von schlechter Führung sprechen, denn es ist gar keine.
Wie würde euer Team, euer Umfeld euch vermutlich beschreiben?
Sven: Es ist immer schwierig, so etwas einzuschätzen. Das Team müsste antworten. Wir selbst können ja sagen: Oh, wir sind super! Ich glaube aber, wir haben einen sehr kooperativen Führungsstil, wenn man es so nennen möchte. Wir sind hilfsbereit und immer ansprechbar. Wir helfen unseren Trainees beim Lernen fürs Studium. Ich glaube, auch außerhalb der Arbeitszeit sind wir immer direkte Ansprechpartner, wenn eine Frage aufkommt.
Julia: Es gab ein paar Punkte, die uns gefreut haben. Wir hatten zu Beginn das Marketing- und das Vertriebsteam mitübernommen, was ein Knackpunkt war. Viele von denen, die am Anfang überhaupt nicht geglaubt hatten, dass es funktioniert (was uns auch sehr offen kommuniziert wurde), kamen im Nachhinein zu uns, entschuldigten sich und freuten sich darüber, dass es nun klappt. Das tut in dem Moment wirklich gut. Umgekehrt gibt es keine.n, die/der ständig zu uns kommt und sagt: Hey, das macht ihr toll. Davon muss man sich verabschieden, das ist aber bei den meisten Sachen im Leben so. Nach wie vor sind wir vor allem Ansprechpartner.in, wenn es darum geht, wie die nächste Gehaltsverhandlung aussieht, ob wir Urlaub genehmigen oder Ausgleich genommen oder später ins Büro gekommen werden darf. An diesen klassischen Punkten zeigt sich, dass wir das Team führen.
Sven: Aber auch stark an der Weiterentwicklung. Es kommen zum Beispiel Leute zu uns, die sagen, dass sie eine bestimmte Aufgabe nun lange gemacht haben, damit auch zufrieden sind, aber noch mehr könnten. Das freut uns natürlich, und dann können wir den nächsten Schritt einleiten. Denn das ist etwas, dass wir versuchen, für jede.n zu finden. Weiterentwicklung ist für uns immens wichtig.
Julia: Und ich glaube, in unserem Team herrscht nirgendwo Angst. Das ist auch total wichtig. Es gibt Leute, die haben Respekt vor uns, aber nie auf eine Art und Weise, dass sie sagen würden, sie hätten Angst. Angst, davor da hinzugehen. Angst davor, etwas zu fragen.
Ihr seid divers als Führungsteam, und eure Unterschiedlichkeit bietet den Menschen vielleicht so auch die Möglichkeit, sich vorher zu überlegen, wen sie jetzt gerade wie ansprechen wollen, mit welcher Art sie in diesem Moment besser zurechtkommen. Eure Bandbreite macht es eurem Team sicherlich einfacher, sich zurechtzufinden.
Sven: Das hoffen wir mal.
«Wenn wir ein Projekt starten, sind wir Feuer und Flamme»
Wenn ihr zurückblickt: was ist euch wirklich gut gelungen, was liegt euch nahe, was fällt euch nicht schwer, wenn es ums Thema Führung geht?
Sven: Zu motivieren. Das ist unser Steckenpferd. Wenn wir ein Projekt starten, sind wir Feuer und Flamme. Wenn ich das auf mich münze, ist es das, was ich früher und auch jetzt immer versuche zu vermitteln und zu verkörpern. Auch wenn ein Projekt mal nicht so gelingt, wie man es gerne hätte, bin ich dennoch Feuer und Flamme dafür und kann Leute mitreißen.
Wie bist du, wenn ein Projekt nicht gelingt?
Sven: Ich würde nicht sagen enttäuscht, das wäre das falsche Wort. Natürlich bin ich im ersten Augenblick nicht so glücklich, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Denn für mich ist etwas, das ich nicht gestartet oder durchgesetzt habe, also etwas, dass ich nicht gemacht habe, obwohl ich es machen wollte, vertan. Ich bin allerdings auch ein sehr sprunghafter Mensch. Ich starte gerne vieles, und dann verteile ich das auch gerne, weil ich merke, dass die Leute motiviert und engagiert sind. Und wenn sie dann dran sind, kann ich das Nächste angehen, komme aber immer wieder auf den Punkt zurück. Für mich ist es das Schönste zu sehen, wenn meine Mitmenschen genauso begeistert sind.
Julia: Es gibt ja große Diskussionen darüber, ob man überhaupt motivieren kann oder ob ein Team von sich aus motiviert ist. Wir glauben schon, dass man motivieren oder eine Mischung aus Vorbild und „Entfacher.in“ sein kann. Es macht viel aus, wie wir präsent sind. Das merken wir besonders, wenn wir länger weg oder viel unterwegs sind. Unser Team möchte uns gerne dabeihaben, gemeinsam etwas machen.
Und nochmals zurück zum guten Gelingen: In allen möglichen Belangen mit dem Team auf Augenhöhe zu sprechen. Wenn man sich zwei Tage vor Weihnachten noch mit jemandem hinsetzt, um für den dritten Versuch in Statistik zu üben, haben sie von uns als Führungskraft ein anderes Bild. Dann geht es nicht immer nur um die nächste Zielzahl oder um das nächste fertige Projekt, sondern um die Menschen. Wir versuchen immer wieder, sie uns auch einzeln zu schnappen und zu überlegen, wie es für die Person weitergeht. Ich glaube, die eine oder der andere findet das anstrengend, sie würden auch gerne mal da sitzen und sagen, dass sie den Job auch gerne noch die nächsten dreißig Jahre machen würden, aber das wäre nicht unser Ding. Da hat Sven mich auch angesteckt mit dem „Wir können immer noch was Neues machen“. Dabei passiert dauernd etwas Neues. Meine Älteste macht gerade Abitur, und ich könnte auch einfach mal einen Tag nur am Schreibtisch sitzen, aber dann kommt Sven … und außerdem wäre es zwei Tage später sowieso zu langweilig.
Es zeichnet umgekehrt aber uns beide aus, dass wir uns gegenseitig motivieren und Lust an Neuem haben. Ich habe lange nicht mehr so viel gelernt wie in den letzten drei Jahren.
Sven: Julias Stärke ist es, dass sie Menschen zum Umdenken anspornt. Das ist auch stark am Team zu merken. Wenn jemand die Statistikklausur nicht nur bestehen, sondern auch Zusammenhänge verstehen will und feststellt, dass es doch Spaß macht, dann wirkt sich das auch auf Projekt aus.
Ihr sorgt dafür, dass der Gesamtzusammenhang klar wird. Wozu machen wir das Projekt, wozu trägt es bei, was passiert, wenn wir mit dem Projekt erfolgreich sind? Genauso wie: Wofür ist Statistik da? Was bringt es, diese Klausur zu bestehen und Statistik verstanden zu haben?
Julia: Genau. Wobei der größte Erfolg in Sachen Führung ist, dass wir das zusammen machen, was wir jetzt machen. So wie Sven sagt, es ist nicht nur ein Job.
Sven: Das auf jeden Fall. Das … hätte ich auch nicht gedacht. Das war’s früher nicht, und jetzt ist es das wieder nicht. Darüber bin ich sehr froh.
«Solange ich das Gefühl habe, dass ich Spaß an dem habe, was ich mache und es mir eine Freude ist, ist es für mich nie Arbeit»
Was ist für dich der wichtigste Unterschied, um sagen zu können, dass es nicht nur ein Job ist?
Sven: Für mich ist die Arbeit keine Arbeit. Ich stehe morgens auf und weiß, was ich mache. Und ich mache es gerne.
Ich komme nach Hause, spiel mit der Kleinen, und wenn meine Frau dann die Kleine ins Bett bringt, lese ich, lerne Neues, dann klingelt das Telefon und ich tausche mich aus. Ich verbinde nichts mehr mit „Eh, ich muss schon wieder zur Arbeit. Ist jetzt bald mal Monatsende, ist schon Geld auf dem Konto?!“. Solange ich das Gefühl habe, dass ich Spaß an dem habe, was ich mache und es mir eine Freude ist, ist es für mich nie Arbeit.
Was liegt euch nicht in eurer Führungsrolle? Wovor würdet ihr euch am liebsten drücken?
Julia: Manchmal sind wir sehr schnell und können dominant sein und Leute mit unserer Art überrennen, wenn wir im Doppelpack auftreten und zu zweit schon wieder eine Idee und noch eine Idee haben. Auch werden wir – hoffentlich nicht nach außen – ungeduldig, wenn wir etwas sehr oft erklären müssen. Oder wenn ein Projekt daran scheitert, dass jemand nicht so viel Herzblut und Energie wie wir hineinsteckt. Das bedeutet nicht, dass nichts falsch gemacht werden oder auch mal etwas daneben gehen darf, aber wenn wir merken, dass etwas liegengelassen oder für nicht wichtig befunden wird, bin ich schlecht darin, dass zu akzeptieren und kann auch sauer werden.
Woran wir immer arbeiten, was wir uns immer auf die Fahne schreiben und worin wir unserer Meinung nach auch sehr gut sind, ist Kommunikation. Und manchmal merken wir an uns selbst, dass man daran nie genug arbeiten kann. Denn wir können uns auch mal drei Stunden im Büro anschweigen, weil irgendwer vorher etwas Falsches gesagt hat.
Wie muss ich mir die wütende Julia vorstellen?
Sven: Die möchtest du dir nicht vorstellen!
Julia: Ich muss da immer sehr aufpassen, denn ich lasse das nur sehr selten im Büro raus. Stattdessen laufe ich immer Gefahr, es abends zu Hause rauszulassen, wenn ich da über den Teeniehaufen falle. Darauf muss ich bewusst achten.
Aber da ist es ganz gut, dass wir die Tür zu machen und es mal kurz beieinander ablassen können. Ich versuche, sachlich zu sein, frage aber auch, warum jemand nicht genauso viel Herzblut einbringt. Gleichzeitig muss ich darauf achten, dass ich jemanden dann nicht „aufgebe“ und mir denke, dass die Person es dann nicht ist, in die ich Zeit und Energie stecken möchte.
Also das eigene Vorurteil, das sich gerade bildet, in Frage stellen?
Julia: Ja. Das ist auch manchmal eine Achterbahnfahrt. Da gibt es schon Menschen, bei denen wir den Eindruck haben, dass der eine Tag super ist, der andere dann wieder nicht. Aber so sind Menschen. So bin ich auch. Sie werden mich auch nicht jeden Tag toll finden.
Sven, wovor würdest du dich drücken, wenn es dir möglich wäre?
Das ist für mich eine schwierige Frage, denn sich zu drücken, bedeutet, etwas nicht gerne zu machen. Auf Anhieb fällt mir nichts ein, denn es kommt auch immer auf die Situation an. So scheue ich mich nicht davor, anderen zu sagen, was nicht gut gelaufen ist oder auch wenn ich weiß, dass ein Gespräch nicht gut wird. Wenn es zum Beispiel in einem Feedbackgespräch eventuell eine Wende gibt, ab der mein Gegenüber die Dinge nicht so sieht wie wir das wahrgenommen haben. Ja, vielleicht würde ich mich davor auch mal drücken mögen, aber ich finde das grundsätzlich nicht schlimm. Es gehört dazu, denn auch das ist ein Lernprozess für mich, und ich würde niemals sagen, dass ich schon am Ende bin. Ich lerne aus jedem Gespräch. Ebenso wie mein Gegenüber. Es ist eine unschöne Situation, die sich jedoch nicht vermeiden lässt.
Ihr habt den grandiosen Vorteil, dass ihr euch jederzeit austauschen könnt und dass die Dinge in euren Köpfen völlig klar sind. Kann es euch passieren, dass ihr nicht mehr daran denkt, auch in andere Richtungen so klar zu kommunizieren?
Julia: Das kann bei strategischen Sachen passieren. Bei denen ist es aber auch vielleicht nicht so wichtig, sie sofort klar zu kommunizieren. Manches darf ja auch nicht direkt kommuniziert werden.
Wir versuchen, viel zu erklären. Unser Team ist immer wieder davon fasziniert, dass wir uns in Meetings nur anschauen brauchen und wissen, was die/der andere denkt. Wenn wir uns dann angrinsen, wissen die, die schon länger mit uns zusammenarbeiten, dass wir wieder einen neuen Plan aushecken. Und es hängt davon ab, wie sehr unser Gegenüber etwas wissen möchte. Manche nutzen ein „Ach, die zwei machen eh ihr Ding“ auch als Ausrede.
Davon ab kann es natürlich dennoch mal passieren.
Sven: Ich denke, schwierig ist es für andere, wenn wir in einem Gespräch sind, unser Gegenüber sagt etwas, wir aber sowieso schon in einem Veränderungsprozess sind, wir das aussprechen, es wie ein Schlagabtausch rüberkommt und das Gegenüber sich in dem Moment denkt: Soll ich besser rausgehen? Wir geben gerne viel preis und sagen manche Sachen auch gezielt. Wir würden gerne alles preisgeben, damit auch jeder weiß, wann es wie wohin geht, aber das geht halt nicht. Dafür dauert manches in der Strategieentwicklung einfach zu lange, und ehe es über den Flurfunk übertragen wird, sollten wir alles erst einmal für uns ausgetüftelt haben.
Julia: Wir sind trotzdem im System. Zwar in unserem Bereich sehr autark, aber dennoch im System. Das an vielen Stellen ganz anders tickt als wir.
Sehr viel Potenzial für Reibungen.
Julia: Ja.
«Das perfekte Vorbild habe ich auch auf keinen Fall»
Ihr habt ja beide keinen klassischen Weg in die Führungsposition genommen, wer oder was hat euch auf eurem Weg inspiriert, wenn es darum geht, Menschen zu führen, mit ihnen umzugehen, ein Team voranzutreiben?
Sven: Eine einzelne Quelle gibt es gar nicht. Die Berufserfahrung, die Menschen, die man erlebt hat. Ich hatte auch damals schon Personalverantwortung, und ich glaube, man lernt dadurch, dass man jeden Tag mit Menschen zu tun hat. Das hat mich angetrieben zu lernen, dieser riesige Lernprozess, der erst mit der Rente zu Ende ist, also wenn ich nicht mehr im HR-Bereich tätig bin.
Ich habe viel gelesen, mir meine Eltern angeschaut, was man von zu Hause kennt, welcher Ton da herrscht, was man alles mitbekommt. Ich könnte nicht auf Anhieb sagen, dass ich so und so werden möchte.
Julia: Das perfekte Vorbild habe ich auch auf keinen Fall.
Sven: Gibt es das perfekte Vorbild?
Julia: Ich glaube, es würde uns nicht auszeichnen, wenn das nur eine Sache wäre. Es ist ja schon immer unsere Schwierigkeit: sind wir im Marketing, sind wir HR, machen wir unseren Hauptjob, machen wir unseren Nebenjob? Wir haben schon öfter über die verschiedenen Rollen geschrieben. Ich gehe nach Hause, schmeiße die Businessklamotten weg, ziehe die Jogginghose an und dann bin ich Mutter, dann Putzfrau, dann gehe ich zum Sport … Da gibt es ganz viele Sachen, die mich prägen. Das Wichtige ist, wenn man Führungskraft ist, sich sein eigenes Bild gemacht zu haben und in sich zu ruhen. Das würde vermutlich als Beschreibung auf keinen von uns passen, weil wir beide unstet und beweglich sind. Aber ich denke, dass wir inzwischen ein recht gutes Bild von uns selbst haben. Das macht die Vielfalt aus. Ich würde auf keinen Teil verzichten wollen. Nicht auf die vier Jahre Elternzeit, über die heutzutage gesagt wird: Das kann man doch gar nicht mehr machen. Aber ich würde kein Stück anders machen. Zu dem Zeitpunkt hat alles gepasst.
Was war für euch bisher die größte Herausforderung auf dem Weg dorthin, wo ihr nun seid?
Sven: Bei mir war es hier, aus dem Team heraus, die Rolle einzunehmen, mein Gesicht zu wahren und den Ansprüchen gerecht zu werden, die an mich gestellt werden. Das war für mich die größte Herausforderung, weil vieles zu dem Zeitpunkt recht chaotisch ablief, und ich wusste, was bemängelt wird, was geändert werden müsste und kannte all die Anforderungen, um die Marketingabteilung zu übernehmen und zu führen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Mir wurde gesagt „Bitte mach das“, aber als das Thema zum ersten Mal auf den Tisch kam, habe ich die Bitte abgeschlagen. Da hatten Julia und ich aber auch noch nicht darüber gesprochen. Ich hatte den größten Respekt davor zu versagen und die Leute unglücklich zu machen und mir dann nachher sagen zu müssen: Na toll, ich habe es nicht hinbekommen.
Das ist ein sehr hoher Anspruch an dich selbst.
Sven: Ja. Ich war halt als Umschüler reingekommen und befand mich noch in meinem Umschulungsprozess: wo geht der Weg hin?
Was hat dir geholfen, mit der Anspannung umzugehen?
Sven: Meine Familie, meine Eltern, mein Bruder und meine Frau, haben mir sehr viel geholfen. Und natürlich Julia. Die Gespräche. Ich habe auch ganz klar gesagt, dass ich keine Lust mehr auf Konkurrenzkampf habe und wir das komplett zusammenmachen. Ein Lächeln, ja, super, das passt. Das war es für mich. Ich wusste ganz genau, dass Julia in der Hochschule sehr angesehen ist, und da ich woanders herkomme, hatte ich höchsten Respekt vor Professor.innen. Doch Julia nahm mir die Unsicherheit, und so machten wir uns auf unseren gemeinsamen Weg.
Und deine größte Herausforderung, Julia?
Ab dem Moment, als dem wir beschlossen hatten, das zu machen, ging der eigentliche Kampf erst richtig los. Zum einen gab es für mich die Überlegung, ob ich wirklich aus der Teilzeitstelle rausgehen sollte. Ich durfte mehr oder weniger arbeiten, wann und wie ich wollte, und ich hatte meine Rolle zu Hause. Dabei hätte ich weder in Teilzeit noch überhaupt arbeiten müssen, also fragte ich mich, ob ich mir Vollzeit wirklich antun wollte. Gleiches galt für die Zusammenarbeit mit einem Team, das mich erst einmal nicht akzeptieren würde. Wollte ich mich dem stellen? Wollte ich raus aus meiner Komfortzone?
Mein Umfeld, meine Eltern, fahren eher den klassischen Ansatz für Frauen. Entweder du arbeitest nicht, dann heißt es: Hast du dein ganzes Studium hingeschmissen? Oder es heißt: Wie viel arbeitest du eigentlich? Das kann doch alles nicht gut sein! Ganz viele fragten mich, ob ich das jetzt auch noch machen müsste und ob ich das irgendwie brauche. Da war für mich der Moment zu sagen: Ja, ich mache das jetzt. Ich finde das total gut.
Uns war aus einem unerfindlichen Grund klar, dass es funktionieren würde. Dann kam aber erst einmal der bürokratische Kram, und es hat lange gedauert, bis wir klargemacht hatten, dass wir diesen Job mit denselben Verträgen, mit gleichen Gehältern machen wollen, obwohl wir total unterschiedliche Hintergründe haben. Aber letztendlich machen wir den gleichen Beruf und arbeiten gleich viel. Während dieses Kampfes habe ich mir oft gedacht, dass ich mir das nicht hätte antun müssen, und dieser Teil machte auch wirklich keinen Spaß, weil teilweise mit unfairen Mitteln gekämpft wurde. Da sitzen Leute am längeren Hebel, und es dauerte, bis wir alles durchgesetzt hatten. Und ja, es dauert dann auch seine Zeit, bis sich der Erfolg einstellt. Zum Glück hat er sich eingestellt, und wir haben ein sehr gutes erstes Jahr hingelegt. Insofern war dann irgendwann alles gut. Auch wenn der Respekt davor blieb, dass uns irgendwann alles vor die Füße fällt und die immer wiederkehrende Frage: Hast du das echt noch gebraucht?
Und wie ist der Stand der Dinge jetzt? Hast du das echt alles noch gebraucht?
Julia: Jetzt kriege ich die Nase nicht voll!
Wir wussten natürlich an vielen Stellen nicht, wie es sich weiterentwickelt und wo wir heute stehen würden. Am Anfang haben wir uns wöchentlich hingesetzt und uns gegenseitig gefragt: Hättest du gedacht, dass das passiert? Nee, hätte ich auch nicht gedacht. In den letzten drei Jahren ist wahrlich nicht alles glatt gelaufen, wir hatten nicht nur rosige Zeiten, aber ich denke, wir würden es tatsächlich genauso wieder machen.
Apropos „die Nase nicht voll kriegen“: Ihr habt mit eurem Netzwerkblog „Doppeltspitze“ ein neues Projekt gestartet. Wie kam es dazu?
«Es ist fast ein Jahr her, dass die Webseite gestartet, ist und was wir innerhalb dieses Jahres gelernt haben, hat die zwei Jahre davor nochmals getoppt»
Julia: Zu Beginn war es ein Projekt für unser Team. Wir schreiben beide sehr gerne, auch wenn Sven immer sagte, seine Eltern hätten nie geglaubt, dass er mal lesen und schreiben kann. Und dann haben wir festgestellt, dass wir beide an einer ganz doofen Stelle in der Fachhochschule hängen, denn wir haben beide keinen Titel. Sobald man keinen Titel hat, kann man auch nicht schreiben. So haben wir uns gesagt: Okay, dann schreiben wir halt für uns, und so entstand unsere Webseite. Irgendwann haben wir uns gefragt, wie man so etwas publik machen kann, und haben gleichzeitig unseren und den Twitterkanal der Hochschule gegründet und einen Wettbewerb gestartet, wer zuerst mehr Follower hat. Wir haben die Hochschule um Längen geschlagen und gemerkt, dass Twitter ein cooles Netzwerk ist und es Spaß macht, sich dort auszutauschen. Es ist eine ganz neue Art von Lernen und Bildung. Es ist fast ein Jahr her, dass die Webseite gestartet, ist und was wir innerhalb dieses Jahres gelernt haben, hat die zwei Jahre davor nochmals getoppt.
Hinzu kam, besonders von Sven, der Gedanke: Hey, ich kann mein eigenes Ding machen, und ich bin auf eine andere Art und Weise sichtbar.
Beschreibt doch mal bitte, was auf eurem Netzwerkblog „Doppeltspitze“ passiert.
Sven: Das Ziel des Netzwerkblogs war und ist es, Wissen auszutauschen. Wie wir schon mehrmals sagten, lesen wir viel. Es ist schade, wenn dann eine.r etwas schreibt, es aber nicht streut. Wir kommen aus dem Marketing, wir haben einen großen Streuverlust, besonders wenn man bedenkt, dass pro Tag über 240.000 Blogbeiträge nur hier aus dem Umkreis hochgeladen werden. Das schafft ja niemand zu lesen. Das fanden wir schade und dachten uns, dass es eine Plattform geben müsste, die teilt. Wo man sich verbinden und austauschen, kommentieren und Inhalte in die eigene Community streuen kann. Es sollte eine Basis sein, auf der man sich zu vielen Themen informieren kann. Es gibt viele spezifische, spezielle Blogs, aber das wollten wird nicht. Wir wollten es bunt haben und vieles zusammenfassen.
Das klingt ein wenig nach dem Wunsch, alles, was einen selbst interessiert, auf einer Plattform zusammenzuführen und auffindbar zu machen.
Julia: Das war auch tatsächlich so. Es gibt so viele closed shops, besonders im Managementbereich. Jeder weiß, welche die Top 10-Blogs oder –Magazine zu den Themen sind, aber da sind so viele andere interessante Beiträge von Menschen, die kein Gesicht haben. Genau die wollten wir sichtbar machen. Es gibt genügend Zeitschriftenartikel, bei denen wir uns fragen, wie er es in die Zeitschrift geschafft hat, obwohl der Artikel nicht interessant ist. Aber die/der Autor.in hat einen Namen und am besten noch einen Titel davor. Wir finden, dass der Bildungsbereich in Deutschland immer noch total hierarchisch geprägt, wenig offen für neue Ideen ist, und es gibt entweder immer die Managementelite mit Konferenzen, deren Teilnahmegebühr kaum bezahlbar ist oder die kleinen Barcamps. Mit unserem Netzwerkblog wollen wir diese beiden Seiten verbinden und durchlässiger machen. Sven hat es am eigenen Leib erfahren. Er hat den Bachelor/Master natürlich auch aus eigenem Interesse gemacht, aber an der Hochschule heißt es auch, dass es ohne gar nicht geht. Als wir letztes Jahr die Leitung der Business School übernehmen sollten, hieß es „Entschuldigung, aber ohne Studienabschluss …?!“ Das ist solch ein altes, verstaubtes System. Der Typ macht einen geilen Job, der braucht keine Mastertitel!
Viele von den Themen, die ihr auf eurem Blog zusammentragt, haben mit Arbeit, mit Führung, mit einem Blick auf die Welt in der Zukunft zu tun. Was ist eure Vorstellung? Wohin entwickeln wir uns im Bereich Führung und Zusammenarbeit?
«Es ist viel einfacher, zu zweit zu entscheiden»
Sven: Ganz ketzerisch gesagt, wird sich nicht so viel ändern, wie wir alle es uns erhoffen. Manches wird aufgebrochen, aber Führung wird immer benötigt werden. Wir hatten diesbezüglich ein eigenes Projekt gestartet. Dafür hatten wir junge Leute zu Teamleiter.innen ernannt, ihnen das Budget offengelegt, zusammen geschaut, was man wo machen könnte und ihnen innerhalb unserer flachen Hierarchie gesagt, dass sie Entscheidungen treffen sollen. Doch immer wieder kamen sie zu uns und fragten uns, wie wir vorgehen würden. Unsere Antwort war immer: „Entscheide doch.“, aber das wollten sie nicht wirklich. Nach wie vor wird eine Führungskraft benötigt, denn man kann nicht alles aus der Hand geben und es flexibel und agil laufen lassen, denn wir sind ja auch ein Wirtschaftsunternehmen.
Es wird außerdem bewusst nach Strukturen und Rahmenbedingungen gefragt. Es ist nicht so, als würden wir vorgeben, dass es sie braucht. Wir werden danach gefragt, und wenn der Mitarbeitende danach fragt, sollte man es ihr/ihm auch geben. Denn was bringt mir die Flexibilität, wenn ich nicht weiß, wo ich stehe.
Julia: Menschen ticken einfach zu unterschiedlich. Es gibt Menschen, die es für absolut nicht erstrebenswert halten, in ihrem Job selbst Entscheidungen treffen zu müssen. Das haben wir bei uns auch erlebt. Ganz am Anfang entschieden wir, dass wir jetzt alles anders machen. Mit dem Ergebnis, dass wir nach drei Wochen einsahen, dass wir alle Menschen überfordert hatten. Die wollten gar nicht alles anders machen. Diejenigen, die wir als neue Führungskräfte oder als Managementnachwuchs einstellen, kommen aus einem total hierarchisch geprägten Schul- und Studiensystem, und dann sollen sie plötzlich selbst entscheiden. Das hat ja keine.r gelernt. Insofern würden wir uns für jeden Menschen wünschen, dass sie nicht nach alleiniger Führung, sondern nach Teamführungsmodellen streben. Es ist viel einfacher, zu zweit zu entscheiden. Das hat nichts damit zu tun, dass ich es mich alleine nicht traue, sondern dass ich meine Meinung abgleichen kann.
Das macht Entscheidungen wahrscheinlich auch valider und tragfähiger für den Rest, wenn nicht eine Einzelperson, sondern ein Team, entscheidet.
Julia: Ja. Und gleichzeitig muss man sich auch stärker hinterfragen, ob, wenn schon zwei oder drei Leute etwas richtig finden, es vielleicht doch an mir liegt, dass ich etwas falsch finde. Wenn in unserer flachen Hierarchie alles gut läuft, ist alles super. Aber bei Schwierigkeiten geht es dann doch wieder „nach oben“. Die Führungskraft kann nicht diejenige sein, die immer Schuld ist, und in diesen ganzen Änderungsprozessen kann auch nicht immer die Führungskraft diejenige sein, die sich alleine ändern muss. Bei Veränderungen muss sich jede.r selbst an die Nase packen.
Wir würden uns für viele Menschen wünschen, dass es für sie auch so gut funktioniert wie bei uns. Denn das ist sicherlich nicht selbstverständlich und hat nicht nur damit zu tun, dass eine Organisation geteilte Führung zulässt. Die Menschen müssen zusammenpassen. Per Stellenausschreibung à la „Wir suchen zwei Menschen, die zusammenpassen“ klappt das sicherlich nicht. Das wäre dann Parship für Führungspositionen.
Alle lachen.
Was würdet ihr jemandem empfehlen, die/der vor der Frage steht, sich mit einer anderen Person eine Führungsposition zu teilen?
Sven: Klare Regeln schaffen und offen und ehrlich darüber sprechen. Regeln und Kommunikation. Das ist das A und O. Kein Konkurrenzkampf, wir machen das zu zweit, wir richten eine gemeinsame E-Mail-Adresse ein, sodass wir gleichzeitig über alles informiert sind und gleichzeitig als Doppelpack von allen wahrgenommen werden. Wir tauschen uns per E-Mail, Telefon oder Messenger aus. Wenn es die eine weiß, weiß es auch der andere. Wir sind keine Abteilungsleiter, wo der eine ein Stellvertreter ist, der dann vielleicht etwas nicht weiß, sondern wir tauschen uns komplett aus. Ist eine.r krank, läuft es trotzdem weiter. Das ist der Vorteil, wenn man diese Regeln schafft.
Julia: Wenn man sich sogar im Urlaub Mails schickt, ist es mehr als nur ein Job. Wir wissen, dass wir uns auf die/den anderen 100 %-ig verlassen können. Das ist super viel wert.
Gibt es etwas, dass ich euch bisher nicht gefragt habe und wozu ihr gerne noch etwas sagen wollen würdet?
Julia und Sven: Da fällt uns auf Anhieb nichts ein.
Eine allerletzte Frage: Heute habe ich mit euch gesprochen. Was meint ihr, mit wem sollte ich auch ein Gespräch führen?
Sven: Eine gute Gesprächspartnerin wäre Britta Redmann. Von ihr haben wir viel in Sachen Arbeitsrecht gelernt. Da ist auch viel im Wandel. Sie ist sehr sympathisch, besitzt viel Charisma und arbeitet auch in einer Personalabteilung. Sie hat also auch eine Doppelrolle. Etwas, das ich sehr faszinierend finde. Da gibt es nämlich sehr viel zu erzählen, und sie kann die beiden Sachen miteinander kombinieren.
Julia: Dem schließe ich mich an. Mit Britta kannst du stundenlang plaudern, sie liefert dir aber auch knallharte Facts. Arbeitsrecht ist ein Bereich, den wir uns komplett anlesen müssen. Unser Unternehmen hat keine klassische HR-Abteilung, insofern haben wir als Abteilungsleiter.in diese Zwitterrolle und sind auch für Personal zuständig, was wir sehr gut finden. Aber manchmal gibt es doch so knifflige Sachen, bei denen man sich besser absichert, als nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Die ganze New-work-Geschichte leidet darunter, dass sie zerredet wird, und Britta bringt dann knallharte Fakten rein. Das tut gut.
Britta arbeitet in einem Unternehmen, in dem es einen Tischkicker gibt. Aber sie weiß auch, wo der Tischkicker seine Grenzen hat.
Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ich habe sehr viel für mich mitgenommen.
Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://soundcloud.com/user-675701835. Dort finden sich auch alle unsere weiteren Podcast-Folgen.