It‘s about Leadership

Podcast "It's about Leadership" - Folge 10

27. März 2020

Heute haben wir uns zu einer Sonderfolge des it’s about Leadership-Podcasts verabredet. Auch Corona wird ein Thema sei, wobei es nicht um das Virus an sich geht, sondern darum, wie Führungskräfte mit den aktuellen Veränderungen umgehen. Wie wirkt es sich auf Leadership aus, wenn man in einem extremen Krisenmodus unterwegs sein muss, weil es zurzeit nicht anders geht? Wie sortieren Führungskräfte sich und ihre Teams? Was beschäftigt sie?

 

Hierfür habe ich mir einige meiner ehemaligen (und einen zukünftigen) Gesprächspartner.innen in Woche 1 (als Kindergärten/Schulen/Hochschulen geschlossen wurden und nach der Erkenntnis, was wir gerade zurzeit durchleben müssen) geschnappt, um mit ihnen über die Auswirkungen auf ihren beruflichen Alltag zu sprechen. Über ihre Unsicherheiten, die aktuellen (operativen) Herausforderungen sowie die individuellen Sorgen für die Zukunft.

 

Gesprächspartner.innen dieser Sonderfolge sind:

  • Hannah Herlemann-Wegener, Value Stream Manager bei Mars und verantwortlich für die Produktionslinie des Mars-Produkts „Balisto“. Sie hat in ihrem Team Menschen, die im Homeoffice arbeiten können, aber natürlich auch jene, für die das nicht in Frage kommt, da sich ein Balisto nicht aus dem Wohnzimmer heraus produzieren lassen kann.
  • Thomas Dugaro, Leiter IT-Collaboration & Project Management bei Gruner+Jahr. In seiner Rolle ist er dafür verantwortlich, sein eigenes Team durch diese neue Situation zu bringen, gleichzeitig muss er seine Mitarbeitenden dabei unterstützen, dass die gesamte Gruner+Jahr-Welt aus dem Homeoffice heraus arbeiten kann und den Kolleg.innen Austauschmöglichkeiten bereitstellen.
  • Kristina Faßler, General Manager Marketing & Commercial Sales WELT und in einem Umfeld tätig, in dem es darum geht, alles, was zurzeit geschieht, in Informationen umzuwandeln. Sie muss sich mit den Nachrichten der Welt auseinandersetzen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit ihrem Team und die Frage managen, wie sie selbst mit der Krise umgeht.
  • Julia Collard ist der eine Teil von „Doppeltspitze“ (den anderen Teil, Sven Schnitzler, hat leider eine Grippe erwischt). Sie bringt ihre Perspektive aus der gemeinsamen Leitung von Vertrieb & strategischem Marketing der Europäischen Fachhochschule (EU|FH) mit sowie Herausforderungen, die den Unibetrieb betreffen: Vorlesungsbetriebe, die eingestellt werden, Studierende, die davon betroffen sind und natürlich auch Julias Team (40 Menschen), die sich im Homeoffice neu sortieren müssen.

Wie hat sich euer Führungsalltag in den letzten zwei Wochen verändert?

Dr. Hannah Herlemann-Wegener: Ich habe plötzlich eine andere Nähe zu meinen Mitarbeiter.innen. Sonst habe ich ein Team, das immer präsent und um mich herum ist. Wir haben dieselben Arbeitszeiten und haben uns daher viel gesehen, was sehr persönlich war. Jetzt ist die Hälfte bis zwei Drittel meines Teams im Homeoffice, was die Kommunikation komplett verändert. Es geht ganz viel über Skype, über Telefon, über E-Mail, über WhatsApp. Die Art der Kommunikation ist dadurch eine andere geworden. Auch die Themen sind anders. Alles ist sehr fachlich. Sätze, die in einem Gespräch noch hinzugefügt werden, wie „Wie geht es dir?“ oder „Wie war die Verabredung, von der du erzählt hattest?“ fallen weg. Dem muss ich bewusst entgegensteuern. Deshalb gibt es jetzt jeden Tag um zehn Uhr einen Skypecall mit meinem ganzen Team zum gemeinsamen Kaffeetrinken.

 

Thomas Dugaro: Ich habe im Moment das Gefühl, dass ich virtuell Pizza hinstellen muss. Also dafür sorge, dass ich mit meinen eigenen Fragen und Sorgen nicht zu viel im Weg stehe und stattdessen Vorbild für das Team bin, Rituale einrichte und meine Mitarbeitenden ansonsten machen lasse. Noch mehr als vorher.

 

«Wenn vorher schon Empathie absolut notwendig für Führung war, hat sich das jetzt mindestens verdoppelt

 

Kristina Faßler: Radikal. Das ist wohl die einzig richtige Antwort darauf. Nun ist die Besonderheit bei mir, dass mein Sohn aus Südtirol kam und ich exakt vor vierzehn Tagen von Axel Springer in eine vorsorgliche Quarantäne geschickt wurde. Ich war somit als Erste aus meinem Team im Dauer-Homeoffice-Modus. Wir haben uns natürlich die ganze Zeit intensiv mit Corona auseinandergesetzt. Es ist unser Job, das für die Social-Kanäle aufzubereiten und auch zu hinterfragen, was das für uns bedeutet, denn ein Sender kann nicht komplett mal eben ins Homeoffice gehen. Somit waren wir schon tief im Thema drin, als mein Stellvertreter Flo, dem ich dafür unendlich dankbar bin, vorschlug, Homeoffice mal konkret in der darauffolgenden Woche auszuprobieren. So gingen wir sehr schnell kollektiv ins Homeoffice. Eine gute Entscheidung, denn mittlerweile ist ein Ausprobieren nicht mehr drin, weil alle „hart“ reingehen. Motivation ist da ganz wichtig. Die Mitarbeitenden sollen alles ausprobieren, sich mental darauf vorbereiten, dass es länger dauert, die Hardware checken, aber sich auch die Frage beantworten, ob sie dort, wo sie sich zurzeit befinden, zufrieden sind und klarkommen.

Wenn vorher schon Empathie absolut notwendig für Führung war, hat sich das jetzt mindestens verdoppelt.

 

Julia Collard: Ich bin mehr zur Moderatorin geworden. Wir haben ein Team von 40 Leuten, und vorletzte Woche haben wir noch Flachsen gemacht über das, was gerade passiert, um dann letztes Wochenende zu entscheiden, dass wir alle ins Homeoffice gehen werden. Für diejenigen, die schon länger in unserem Unternehmen arbeiten, ist das kein Problem, obwohl das Arbeiten im Homeoffice für sie völlig neu ist. Sie sind mit ihren Laptops losgelaufen, und die ersten Tage ging es viel um Troubleshooting (Wer hat ein Headset? Wer einen Computer? Wer kann sich wo einwählen? Wo funktioniert die Technik noch nicht?). Jetzt geht es viel ums Motivieren, den Kontakt zu halten. Wir starten mit einer Morgen-Mail in den Tag und verabschieden uns mit einer Abend-Mail, weil wir uns nicht alle jeden Tag sprechen und um uns so auf dem Laufenden zu halten. Ich bin ein bisschen die Storytellerin des Teams geworden.

 

Was ist an dem, was ihr gerade vor euch habt, besonders herausfordernd? Was prägt aktuell besonders eure Rolle?

Dr. Hannah Herlemann-Wegener: Wenn ich an den Anfang der Woche zurückdenke, hat mich die Frage umgetrieben, wie ich Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut bekomme. Diese Zerrissenheit war für mich persönlich am Herausfordernsten. Nachdem ich dann meinen Frieden mit der Situation gemacht hatte, konnte ich mich wieder mehr und anders auf meine Leute fokussieren. Auf die Fragen, wie ich alles kommuniziert kriege, wie ich alle motiviert bekomme und für mich ganz speziell die Frage, wie ich nicht alles über Bord werfe. Mit Bezug auf meinen Führungsstil, denn führe ich jetzt anders, weil wir in dieser Krisensituation stecken oder würde ich so auch zu einer anderen Zeit entscheiden? Das ist eine Frage, die mich in den letzten Tagen häufiger beschäftigt.

Bist du zu einer Antwort gekommen?

Ich möchte zu der Antwort kommen, dass ich nicht anders entscheide. Denn warum sollte ich? Wenn ich jetzt in der Krise anders handeln würde, warum hätte ich es nicht auch vorher schon so machen können?

 

«Ich versuche, sichtbarer zu sein und zu zeigen, dass auch ich als Führungskraft verwundbar bin und dieselben Themen wie meine Mitarbeitenden habe.»

 

Thomas Dugaro: Bei uns sind es unterschiedliche Sachen. Zum einen haben die eigenen Leute Themen, beispielsweise: Wie organisiert man das eigene Arbeiten, wenn Kinder zu Hause sind? Dafür gilt es, Rahmen und Antworten zu liefern. Zum anderen müssen wir in unserer Funktion all dies auch für das ganze Haus liefern. Meine Leute versuchen, dafür Foren zu geben. Ich versuche, sichtbarer zu sein und zu zeigen, dass auch ich als Führungskraft verwundbar bin und dieselben Themen wie meine Mitarbeitenden habe. Dass auch ich all das anstrengend und schwierig finde, wir aber gemeinsam Lösungen finden werden.

 

Kristina Faßler: Sich nicht zu sehen. Ich sage das jetzt nach vierzehn Tagen, und wir werden noch eine lange Zeit vor uns haben. Natürlich sehen wir uns auf den digitalen Kanälen, über Kameras. Aber es ist ein riesiger Unterschied, ob man sich tatsächlich gegenübersteht oder nicht. Die größte Herausforderung ist, damit gut umzugehen. Eine 100 %-ige Lösung dafür habe ich leider noch nicht. Ich passe nur wahnsinnig auf den persönlichen Austausch auf, und bisher haben wir eine gute Stimmung.

 

Julia Collard: Es sind vor allem die ganz jungen Mitarbeitenden, die wir haben und die gerade frisch aus der Schule raus sind. Wir sprechen oft von Selbstorganisation und dass sich jede.r eigenständig sortieren soll, aber das können sie noch nicht, selbst wenn sie ein halbes oder ein Jahr bei uns arbeiten. Ich halte vor allem die Trainees zusammen, motiviere sie und versuche ihnen beizubringen, wie man sich über beispielsweise Skype in ein Projekt reinfuchst. Da bin ich relativ stark involviert.

 

Wie geht ihr als Team mit den Unsicherheiten um?

Dr. Hannah Herlemann-Wegener: Ich behaupte, dass mein Team mitbekommen hat, dass ich mich wegen der Kinderbetreuung echt gedreht habe. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, ob sie das jetzt gerade alles so mitkriegen und wie viel Unsicherheit ich ihnen dadurch eventuell mitgebe. Aber dann beruhige ich mich mit dem Gedanken, dass das nur authentisch ist. Ich bin nun einmal eine arbeitende Mutter. Mich bewegt es, und jeder/m Mitarbeitenden von mir, die/der auch Kinder hat und arbeitet, geht es genauso.

 

«Was wir sonst auf dem Flur oder auf dem gemeinsamen Weg zu einem Meetingraum besprachen, findet jetzt virtuell statt.»

 

Viele, viele Gespräche drehen sich um Corona und Aussagen wie: ich habe dies gehört, ich habe jenen Podcast gehört, das ist die neueste Studie, von der jemand erzählt hat etc. Es ist das Gesprächsthema Nummer eins. Gleichzeitig geht es darum, wie wir unser Team zusammenhalten. Daher das virtuelle Kaffeetrinken einmal am Tag. Wir haben auch eine Team-WhatsApp-Gruppe, die auch schon vor Corona existierte, im Moment jedoch massiv genutzt wird, um auch mal Lustiges zu teilen.

Um es herunterzubrechen: Kommunikation hat sich verändert. Was wir sonst auf dem Flur oder auf dem gemeinsamen Weg zu einem Meetingraum besprachen, findet jetzt virtuell statt. Das wurde ganz bewusst eingerichtet, denn das ist es auch, was das Team ausmacht. Dass sie ein freundschaftlich-kollegiales Miteinander haben, ist mir wichtig. Und das soll so bestehen bleiben.

 

Kristina Faßler: Darüber sprechen. Ich denke, dass darüber zu sprechen die einzige Lösung ist. Wenn wir sehen, dass wir unsere Rolle und auch die einer/s jeden Einzelnen im Social Distancing verstanden haben, und es dennoch welche gibt, die sie nicht verstehen, kann man natürlich fragen: Seid ihr alle blöd?, aber das halten wir für eine schlechte Lösung. Wir fragen uns, warum es manche nicht verstehen. Wir machen Kommunikation. Alle miteinander.

Ich glaube, noch nie gab es eine solch große Aufgabe in Sachen Kommunikation, denn nur so können wir diese Krise schneller bewältigen. Wir gehen tatsächlich so damit um, dass wir versuchen zu verstehen, warum es noch nicht alle verstanden haben und wie es Leuten mit dieser Krise geht, die sich nicht beruflich den ganzen Tag damit auseinandersetzen wie wir. Darüber sprechen wir sehr viel, denn das nimmt Unsicherheit, und es hilft dabei, sich an diese rasant schnelle Änderung von Informationen zu gewöhnen.

 

«Der schwierigste Morgen war der nach der Ansprache der Bundeskanzlerin

 

Julia Collard: Was die Kinderbetreuung angeht, hat unser Unternehmen sofort gesagt, dass alle Eltern definitiv ins mobile Arbeiten gehen können. Das hat zu großer Erleichterung geführt, denn einen Anspruch darauf gibt es nicht und alles, was Richtung unbezahlten Urlaub geht, macht die Situation auch nicht leichter. Schließlich hoffen wir alle, dass wir in diesem Jahr noch einmal in einen normalen Rhythmus kommen und Urlaub machen können. Natürlich teilt nicht jede.r seine Sorgen mit, aber ich versuche, mein Team zu motivieren, wenn ich morgens in unsere „Good morning, Vietnam“-Runde (ja, das mag makaber klingen, aber so habe ich sie genannt) rufe, ob alle da sind. Der schwierigste Morgen war der nach der Ansprache der Bundeskanzlerin. Aber ich versuche auch, aus meinem eigenen Alltag zu erzählen, wie ich damit umgehe und auch mal Blogartikel oder ein Comic mit einfließen zu lassen. So versuche ich, Nähe aufzubauen und das Gefühl zu vermitteln, dass sie sich bei mir melden können, wenn sie wollen.

 

Wofür übernimmst du gerade ganz besonders Verantwortung in deiner Führungsrolle?

Dr. Hannah Herlemann-Wegener: Für einen positiven Spirit. Um uns herum herrscht solch eine große Unsicherheit und so viel „Das könnte jetzt alles passieren“. Ich sorge dafür, dass es am Tag dennoch Momente gibt, in denen kurz gelächelt wird. Aufbauend auf der Hypothese, dass aus vielen Krisen auch Gutes erwachsen kann, stelle ich die Frage, was aus dieser Krise Gutes hervorgehen kann bzw. schon geschehen ist? Dann kommt auch mal mit einem breiten Lächeln ein: „Ich bin in Rekordzeit zur Arbeit gekommen, weil die Straßen so frei waren.“ Gleichzeitig werden viele Wände in den Köpfen eingerissen. Plötzlich ist Homeoffice möglich. Wenn man sich in Zukunft dann mal einen Tag Homeoffice rausnehmen möchte, geht das. Und es geht gut und ist völlig in Ordnung.

Außerdem: Prioritäten setzen. Ich habe meinen Kalender gnadenlos aufgeräumt, geschaut, was wichtig ist, was ich jetzt brauche, ob ich über Unwichtiges nachdenken muss, wenn wir gerade mitten in einer Krise stecken. Irgendwann werde ich wieder darüber nachdenken können, aber nicht im Moment.

 

«Manchmal würde ich einfach gerne Schokolade hinstellen

 

Thomas Dugaro: Im Moment geht es gar nicht um Fachliches, sondern darum, einen Rahmen, Sicherheit und Raum zu geben. Und zu kommunizieren, zu kommunizieren, zu kommunizieren. Auch Menschen bewusst Dinge vorzuleben, sodass sie dazu eingeladen werden, selbst viel zu kommunizieren oder sich an Ritualen zu beteiligen. Es können ein paar Hemmschwellen für einige Menschen niedriger gemacht werden, indem man selbst sagt, wo man gerade nicht weiterkommt, wo man Unterstützung braucht. Darauf liegt zurzeit der Schwerpunkt, und manchmal würde ich einfach gerne Schokolade hinstellen. Doch da das nicht geht, muss ich andere Wege finden. Vielleicht mit einer lustigen Umfrage oder mit dem Aufruf, dass jetzt keine.r mehr etwas macht und wir alle erst einmal für eine halbe Stunde spazieren gehen.

 

Kristina Faßler: Für die Kommunikation. Dafür, dass jede.r von jeder/jedem weiß, was die/der Andere gerade tut, wer woran arbeitet. Auf der einen Seite schirme ich sie ab von dem, was zurzeit sonst so im Unternehmen läuft, auf der anderen Seite stelle ich die Kommunikation zur Geschäftsführung und anderen Abteilungen im Unternehmen sicher. Ich gebe ihnen das Gefühl, dass sie zu Hause, in dem Raum, in dem sie jetzt arbeiten, das bestmögliche für ihren Job tun und das Gefühl haben, dass dieser Job ein sicherer Job ist. Führung hatte in letzter Zeit ganz viel damit zu tun, Macht abzugeben, keine Hierarchien aufzubauen. Doch im Moment merken wir ganz stark, dass eher das Gegenteil gewünscht ist. Das hat weniger mit Macht zu tun, sondern viel mehr mit dem Wunsch, Schutz, Sicherheit und Rahmenbedingungen von oben zu erhalten. Gleichzeitig achte ich darauf, dass meine Mitarbeitenden nicht zu viel machen und sich nicht psychisch unter Druck setzen. Ich gebe ihnen zu verstehen, dass sie vielleicht ihre acht Stunden nicht schaffen werden, aber dafür ist auch der Kaffeeplausch oder etwas Anderes, womit die Zeit im Büro sonst noch verbracht werden könnte, weggefallen. Wer also früher fertig ist, ist halt fertig. So kommen wir vielleicht auch endlich mal von der blöden Zeitmessung weg.

Zurzeit habe ich das Gefühl, dass ich von allen viel mehr darüber weiß, was sie tun, als dass ich es in Präsenz weiß.

 

Leben und arbeiten in Zeiten von Corona: wie geht es dir? Wie gehst du damit um? Wie machst du das für dich?

Thomas Dugaro: Ich habe das Glück, einen Hund zu haben, der mich regelmäßig dazu auffordert, das Haus zu verlassen. Mir ist bewusst geworden, dass es durchaus für andere Menschen schwierig ist, wenn sie die ganze Zeit zu Hause am Rechner sitzen und viel, viel weniger Begegnungen haben als in einem normalen Büroalltag. Für mich ist das nicht so schwer.

Es hilft, mit den eigenen Leuten, dem Team, darüber zu reden und auch beim Chef einzufordern: „Ruf mich ab und an mal an, und frag mich, wie es mir geht.“ Denn zurzeit ist alles neu und aufregend, daher einfach mal einfordern.

Ich bin gespannt, wie lange wir uns diesen Raum geben.

 

Kristina Faßler: Mir geht es wie allen. Meine Eltern sind im Norden, da komme ich nicht mehr hin, der Rest meiner Familie ist auch verteilt. Darüber mache ich mir Gedanken. Das sind die Dinge, die man wertschätzt, wenn man sie nicht mehr hat. Was soll ich sagen? Ich bin noch in einem Modus, in dem ich sehr viel arbeite. Wenn ich irgendwann ein bisschen weniger arbeite und runterkomme, mal schauen, was das mit mir macht, denn es wird etwas mit mir machen. Ich werde mich dann auffangen müssen. Aber aktuell geht es mir gut.

 

«Dieser Feind ist nicht greifbar. Es ist eine Bedrohung, die ich nicht sehe, was es wahnsinnig schwierig macht.»

 

Julia Collard: Dadurch, dass wir auch extrem gut befreundet sind, ist es eine sehr schwierige Situation, weil wir gleichzeitig auch noch unsere privaten Ängste mit drin haben. Aber ich denke, zu wissen, dass wir das zu zweit machen, ist schon noch mal eine andere Nummer, als wenn jemand alleine dasitzt. In den letzten 14 Tagen hatte ich die doppelte Aufgabe, quasi das Team zu begleiten und ein Auge auf Sven zu haben, der mit seiner Grippe sehr, sehr krank war und nicht anwesend sein konnte.

Es ist schwierig, mit der Situation umzugehen. Normalerweise sitzen Sven und ich zusammen vor einem PC, können wir das in Zukunft oder können wir das nicht? Aber wir haben nun beschlossen, dass wir ein „Inner circle“ sind, denn wir arbeiten zusammen, haben ein Business zusammen, wir sind befreundet, also wenn etwas passiert, passiert es uns beiden. So hebeln wir die Unsicherheit für uns beide etwas aus. In der Familie ist das etwas anderes. Da gibt es schon Momente, in denen wir zusammensitzen und relativ verzweifelt sind und auch mal die eine oder andere Träne fließt. Dann lenken wir uns wieder ab, und es scheint als wäre alles ganz normal. Es ist so skurril. Dieser Feind ist nicht greifbar. Es ist eine Bedrohung, die ich nicht sehe, was es wahnsinnig schwierig macht.

 

Gedanken zu dieser Podcast-Folge:

Wenn ich mir als Beobachterin diese Antworten anhöre, sind da trotz der Unterschiedlichkeiten der einzelnen Gesprächspartner.innen einige prägnante Gemeinsamkeiten. Ich merke, dass es besonders in dieser Zeit der Krise extrem wichtig ist, die Verantwortung für Kommunikation zu übernehmen. Ob als Moderator.in oder Kommunikator.in, es ist wichtig zu sehen, dass jede.r vielleicht im Moment nichts anderes macht, als zu kommunizieren, zu informieren, Transparenz herzustellen, alle wissen zu lassen, was wir wissen, aber auch, was wir nicht wissen. So kann in diesen nicht vorhersehbaren, nicht planbaren Zeiten ein gemeinsamer Startpunkt gefunden werden. Jeden Tag aufs Neue. Vielleicht auch jeden Tag mit neu angepassten Aspekten, wie es weitergehen soll, wie wir damit umgehen, wie wir handeln.

 

Es geht darum, einen Safe space zu schaffen. In diesem Safe space wird nicht so getan, als gäbe es die Unsicherheiten und all das, was uns von außen beeinflusst, nicht. Es wird die Möglichkeit geschaffen, sich in diesem Kontext sicher fühlen zu können, mit all dem, was auf uns zukommt. Es geht um Zuversicht, dass wir schon irgendwie damit umgehen werden und dass wir Schritt für Schritt unseren Weg im Umgang mit der Krise finden. Wir werden irgendwie weitergehen können, und sei es erst einmal, was das operative Geschäft betrifft.

 

Was solch eine Krise auch für Führung bedeutet, ist, erst einmal ganz klassisch „auf Sicht zu fliegen“ und jeden Tag neu zu bewerten. Zu wissen, dass wir nicht wissen, was nächste Woche ist oder wie morgen die Stimmung sein wird oder was für neue Themen auf uns, unser Team, unser Business, aber auch in unserem Privatleben, zukommen werden. Wir müssen als Führungskraft ganz klar für uns erkennen, dass es zurzeit nicht anders geht. Wir tragen Verantwortung dafür zu schauen, wo wir gerade stehen und was wir tun können.

 

«Wir haben es nicht im Griff, und das ist völlig normal.»

 

Ein anderer Aspekt, der bei allen Gesprächspartner.innen rauszuhören war, ist: Wir haben es nicht im Griff, und das ist völlig normal. Es ist anstrengend. Es ist eine Herausforderung, sich selbst zu führen, mit den eigenen Unsicherheiten umzugehen und diese Gefühle mit in die eigene Verantwortung, nämlich einen Safe space für das Umfeld zu schaffen, einfließen zu lassen. Während ich gleichzeitig für mich sorge. Dazu gehört die Erkenntnis: Ich habe es nicht im Griff, und das ist normal. Weil wir uns nicht in einem normalen Zustand befinden, sondern uns in einem komplexen bis chaotischen Krisenumfeld bewegen. Es ist wichtig, diese Achterbahn zu akzeptieren und nicht in ihren Kurven und Loopings aus der Bahn geworfen zu werden.

 

Viele Nebensätze haben mir verraten, dass für meine Gesprächspartner.innen zurzeit alles anders ist und ganz besondere Anforderungen an sie selbst und ihre eigenen Führungsrollen gestellt werden. Einige dieser Aussagen möchte ich an dieser Stelle wiedergeben, denn darunter sind viele inspirierende, zum Nachdenken anregende Aspekte, die auf keinen Fall unter den Tisch fallen sollten:

 

«Ich kann sie in ihrer Selbstständigkeit bestärken, und wer weiß, vielleicht macht die/der Eine in dieser Zeit einen großen Sprung.»

 

Thomas Dugaro: In Ausnahmezeiten hat man vielleicht andere Ziele und andere Dinge, die man kurzfristig erreichen will. Doch irgendwann kommen die langfristigen Ziele, die man schon hatte, zurück und wollen gesehen werden. Darüber werden wir uns Gedanken machen, wenn es soweit ist.

Ich merke jetzt auch, um das Bild einer Feier heranzuziehen, dass ich zurzeit für gute Belüftung sorge und dafür, dass das Bier nicht alle wird, bzw. ich maximal der DJ bin, denn die Anderen tanzen alle alleine. Das ist ein tolles Zeichen. Sie sind alle so in ihrer Verantwortung drin, dass keine.r mich die ganze Zeit anguckt und fragt, ob ich nicht etwas GANZ Wichtiges habe, das JETZT gemacht werden muss. Ich kann sie in ihrer Selbstständigkeit bestärken, und wer weiß, vielleicht macht die/der Eine in dieser Zeit einen großen Sprung.

 

Wie geht es dir und deinem inneren kleinen Mikromanager als jemand, der nun vom Homeoffice aus führt?

Kristina Faßler: *lacht* Das ist gut. Das ist ja sozusagen ein Mikromanagementkiller. Ich kann nicht jederzeit überall hereinlaufen und sagen „Julia, mir ist noch eingefallen …“, „Huhu Flo, weißt du, was ich da gerade eben gesehen habe?“

Ich versuche tatsächlich, loszulassen. Es ist eine Loslassübung, aktuell sowieso, da ich viel mit Management jenseits des Teams zu tun habe, damit wir den Sender gut aufgestellt wissen. Die Veränderung macht noch mehr agile Teams stark und fordert so viel Einfühlungsvermögen und Empathie, dass man das Mikromanagement mal für eine Zeit gelassen zurücklässt. Ein bisschen.

 

Dr. Hannah Herlemann-Wegener: Ich möchte nach wie vor klare Entscheidungen treffen können, straight sein und sie vernünftig kommunizieren, damit die Mitarbeitenden verstehen können, warum so entschieden wird. Natürlich ist im Moment das Drumherum teilweise ein anderes, aber meine Grundeinstellung hat sich ja nicht verändert. Deshalb darf sich das in meinen Entscheidungen nicht widerspiegeln dürfen. Das sag ich jetzt so. Frag mich noch mal in drei Wochen, wenn ich ein weiteres Mal darüber reflektiert habe. Aber das ist, was ich mir vornehme. Es darf nicht anders sein, aber sicherlich sollten Entscheidungen besonnener getroffen werden.

 

«Wenn ich die Changetheorien darauflege, hilft mir das.»

 

Julia Collard: Eigentlich ist es ja ein Megachange. Wir sind in einem riesigen Wandel, der für alle gleichzeitig so immens und so massiv ist. Ich hatte in dieser Woche meine kleine Changekurve. Wenn ich die Changetheorien darauflege, hilft mir das. Denn es erklärt mir, warum es gerade so ist wie es ist.

 

38.17 Wer?

Eine Kollegin hat mit mir geteilt, dass sie zurzeit so schlecht schläft. So als hätte sie Stress, und dabei hat sie doch gar keinen. Darüber denke ich in der Tat nach. Es ist bestimmt nicht der offensichtliche Stress, aber die Situation beschäftigt uns ja doch. Es ist mentaler Stress, kein Hektikstress.

 

«Wir sind viel stärker auf Augenhöhe unterwegs.»

 

Julia Collard oder Kristina Faßler: Zurzeit habe ich das Gefühl, dass ich von allen viel mehr darüber weiß, was sie tun, als dass ich es in Präsenz weiß.

Weil ihr mehr im Austausch seid?

Ja, man klingelt immer mal einfach irgendwo durch, und dann geht jemand ran oder auch nicht, wir gucken mal in fremde Wohnungen rein, und da hängt dann auch mal ein Kind unterm Stuhl. Ich finde das total sympathisch, wobei es jeder/jedem selbst überlassen ist, ob sie/er das möchte und wie viel Privatsphäre preisgegeben wird. Wir haben alle keine Arbeitsplätze, an denen wir geschützt und intim arbeiten können. Im Prinzip sitzt jede/r am Küchentisch oder auf dem Sofa im Wohnzimmer. Aber auch das voneinander zu wissen, macht sehr viel aus. Wir sind viel stärker auf Augenhöhe unterwegs, auch mit den Trainees, die im Büro durchaus auch mal für Hilfsaufgaben eingesetzt werden. Das kann im Moment einfach nicht passieren.

 

Julia Collard:  Wenn ich ganz krass meinen Arbeitstag betrachte, mache ich im Moment nichts operativ.

 

Abschlussworte zu dieser Folge:

Es ist so vieles anders, und es ist mit Sicherheit nicht alles einfach. Gleichzeitig steckt vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas drin, das es wert ist, das zu bewahren. Von daher mag ich sehr an diesen Beispielen, dass in ihnen durchaus der Gedanke steckt, dass es an der einen oder anderen Stelle gar nicht so schlecht ist und dass daraus vielleicht etwas gemacht werden kann.

 

In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir bald aus dieser Krise herauskommen. Dass diese surreale Situation ein sichtbares Ende oder eine sichtbare Entwicklung hat, die uns zeigt, wie es weitergehen wird. Auch damit wir als Führungskraft oder Leadership-Verantwortliche.r die Möglichkeit haben, mit dem Team wieder ein bisschen mehr den Blick nach vorne zu richten.

Gleichzeitig gibt es die Möglichkeiten sicherlich auch jetzt schon. Wir können an der einen oder anderen Stelle gucken, was wir mit all dem anstellen, wie wir nach vorne schauen und wie wir für uns Licht am Ende des Tunnels sehen können.

 

Damit verabschiede ich mich für heute. Vielleicht gibt es eine Fortsetzung dieser Sonderfolge. Schauen wir mal, wie sich die Corona-Krise weiterentwickelt und was wir noch auf der Leadership-Ebene beobachten und teilen können.

 

Schreibt uns gerne, wie es euch so geht und ergangen ist in den letzten zwei bis drei Wochen, wie sich eure Führungsrolle geändert hat und was jetzt Euren Führungsalltag prägt. Gerne auf unseren Social-Media-Kanälen oder per Email an podcast@itsaboutleadership.de.

 

Bleibt gesund!

 

Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun https://open.spotify.com/episode/3ziJP5QKXmIfJUDTs4duaY. Dort finden sich auch alle unsere weiteren Podcast-Folgen.

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