Heute möchte ich, nicht alleine, sondern mit Marc Chmielewski, auf das Thema Emotionen in Veränderungsprozessen gucken und schauen, was es alles so mit sich bringt, wenn Menschen in Veränderung sind. Was das bedeutet und vielleicht auch mit der Frage, was es im Umgang damit heißt. Aber bevor wir das machen, darfst du gerne mal sagen, wer du bist, Marc.
Ja, danke schön. Ich bin Marc Chmielewski, der Geschäftsführer von Movendo. Wir sind eine Beratung, die sich auf die Themen Führungskräfteentwicklung und Transformationsbegleitung spezialisiert hat. Ich denke, ich kann aus dieser Perspektive zu unseren Themen heute einiges beitragen, weil mein Alltag daraus besteht, sowohl solche Veränderungsprozesse bei Unternehmen oder im Coaching zu begleiten, als auch in meiner Rolle in meiner eigenen Organisation dafür zu sorgen, dass Veränderungen gut verarbeitet werden. Insofern freue ich mich auf den Austausch mit dir.
Wir haben vorher schon mal grob über das Thema Emotion und Veränderung gesprochen. Das ist ein sehr weites Feld, aber gleichzeitig eines, mit dem wir immer wieder konfrontiert werden. Entweder, weil wir mal gemeinsam Prozesse begleitet haben oder weil wir beide ähnliche Dinge tun. Vielleicht kannst du beschreiben, wie du/ihr da rangeht, wenn ihr euch mit dem Thema der Begleitung von Veränderungsprozessen auseinandersetzt.
Ich glaube, mit der inneren Überzeugung, dass eine Emotionalität bei Veränderungsprozessen dazugehört und dass es wichtig ist, wenn man Veränderungsprozesse begleiten will, egal ob aus der Rolle des Beratenden oder der Rolle einer Führungskraft, sich mit diesen Emotionen auseinanderzusetzen. Deswegen ist eine unserer ersten Interventionen bei Transformationsprozessen einer Organisation beispielsweise das „Haus der Veränderung“ vorzustellen, weil wir damit die Emotionalität besprechbar machen wollen. Wir wollen einen gemeinsamen Referenzrahmen innerhalb der Organisation schaffen, um über die unterschiedlichen Facetten von Emotionen zu sprechen. Und vor allen Dingen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es diese Unterschiedlichkeit überhaupt gibt.
Gerade denke ich „Haus der Veränderung“, ist für mich total klar, aber dann wird mir bewusst, dass das vielleicht gar nicht so der Fall ist. Wie würdest du innerhalb von drei Minuten das „Haus der Veränderung“ beschreiben? Ich weiß, du lachst schon. Das wird knackig und herausfordernd, aber gib den Zuhörenden doch bitte mal ein Gefühl dafür, was hinter dem Modell steckt.
«Die vier Räume stehen für vier unterschiedliche Phasen von Emotionalität.»
„Haus der Veränderung“ beschreibt den emotionalen Prozess, quasi die Reise, die Menschen durchlaufen, wenn sie mit Veränderungsprozessen konfrontiert werden. Klassischerweise ist die Perspektive, dass die Veränderung von außen kommt. Wenn ich sie mir selbst ausgesucht habe, habe ich vielleicht einen ganz anderen Startpunkt in diesem Haus. Dann beschreibt dieses Modell vier unterschiedliche Räume, die man durchläuft. Die vier Räume stehen für vier unterschiedliche Phasen von Emotionalität. Angenommen wir beginnen im Raum der Zufriedenheit, in dem ich vielleicht gerade stecke und mich wohlfühle. Und dann kommt die Veränderung von außen. Das führt in dem Modell dann zum Abstieg in den Raum der Verleugnung. Klassischerweise das Thema Widerstand und dass man zurück in den Raum der Zufriedenheit möchte. Von da geht es weiter in den Raum der Verwirrung: Okay, ich akzeptiere den Change, aber ich habe immer noch nicht verstanden, wie er denn konkret aussehen soll. Erst wenn ich mir da Orientierung erarbeitet habe, kann ich in den Raum der Erneuerung, in dem ich die Veränderung, wie auch immer sie ausgestaltet ist, umgesetzt werden kann. Diesen emotionalen Prozess kann ich durchlaufen. Das Modell ist ein rein deskriptives Modell. Es beschreibt diese Reise, ermöglicht aber nicht die Voraussage, wer wann wo ist. Man kann auch durchaus wieder einen Raum zurückgehen, und innerhalb der Räume gibt es unterschiedliche Facetten, die man auch wahrnehmen kann. Prinzipiell halte ich das Modell für hochgradig geeignet, weil es sowohl die emotionale Reise des Einzelnen beschreibt, als auch dass man an vielen Stellen sehen kann, dass sich ganze Teams oder ganze Organisationen in dem einen oder anderen Zustand befinden. Über die Räume macht es das schön besprechbar.
Ich mag dieses Modell sehr, weil es eine gewisse Einfachheit hat und gleichzeitig durch die Einfachheit viele Varianten zulässt. Sodass man sagen kann, dass da eine Vielfalt, eine Komplexität hinter jedem einzelnen Raum und in allem ganz viele Facetten stecken. Gleichzeitig mache ich die Erfahrung, dass es ganz oft das allererste Mal ist, dass Führungskräfte oder Menschen in Organisationen, die teilweise seit Jahren in einer Veränderung stecken, sich bewusst machen, dass es ja total normal ist, wie es ihnen gerade geht. Dass das, was sie für sich erleben, nicht daher kommt, dass sie falsch sind, sondern weil es normal ist. Und gleichzeitig erlebe ich oft und es interessiert mich, wie das bei dir ist, dass es trotzdem am Anfang immer eine sehr hohe Skepsis gibt, überhaupt über das Thema zu sprechen und da ranzugehen. Du hast gerade gesagt, dass ihr als erstes das „Haus der Veränderung“ als Intervention macht, und ich mache oft die Erfahrung, dass das oft erst später kommt, wenn man schon gar nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Wie ist das bei dir? Welche Erfahrungen macht ihr?
Ich kann total teilen, dass es relativ schnell mit dem Modell eine Resonanz gibt. Deswegen ist es uns auch so wichtig, das als eine der ersten Interventionen zu nutzen. Wir versuchen, das gerne über andere Übungen oder Simulationen erlebbar zu machen. So schaffen wir für eine Gruppe von Führungskräften einen gemeinsamen Referenzrahmen, bringen sie in eine kleine Change-Situation, lassen sie reflektieren, was passiert ist und entfalten danach dann das Modell. Das macht aus meiner Erfahrung anschlussfähiger. So eine kleine Distanz zum Thema Emotionen kenne ich auch, finde allerdings, dass gerade dann das Sprechen über Räume es noch mal vielleicht ganz anders ermöglicht, an Emotionalität ranzugehen, als sagen zu müssen, dass man gerade Frustration verspürt, stinksauer ist oder am liebsten bockig sein möchte. Dann ist es vielleicht anschlussfähiger und sozial kompatibler, wenn man sagt, dass man gerade den Eindruck hat, im Raum der Verleugnung zu sein.
Die Erfahrung mache ich auch, dass es vielen leichter fällt, weil ganz viele Menschen es nicht mehr gewohnt sind, über ihre Emotionen zu sprechen. Schon gar nicht auf der Arbeit, wo man sogar für sich teilweise ausschließt, dass man emotional ist. Es gibt Menschen, die für sich das Gefühl haben, als unemotionaler Mensch auf die Arbeit zu gehen und das teilweise auch gar nicht in Worte packen können. Da hilft dann dieser Raum und die Beschreibung bzw. das Verstehen, was in diesem Raum passiert ungemein.
Ich habe das Gefühl, dass es zwei Tendenzen gibt. Auf der einen Seite die Tendenz, dass sich viele Unternehmen bei ihren Transformationsprozessen das schon bewusst machen und als Gedanken mit reinnehmen. Gleichzeitig gibt es, und da bin ich immer ein bisschen hin- und hergerissen, die andere Tendenz zu sagen, dass Veränderung doch tatsächlich am besten dadurch funktioniert, dass wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Menschen die Veränderung mitgehen können. Deswegen fokussieren wir uns auf die Rahmenbedingungen und lassen die Emotionen ein bisschen außen vor. Denn die braucht es dann ja nicht mehr. Das greift besonders, wenn man sehr stark systemtheoretisch an eine Veränderung herangeht. Jetzt habe ich spannenderweise zwei, drei Mal die Erfahrung gemacht, dass das wie ein Bumerang zurückkommt. Und dass dann diese Besprechbarkeit der Emotionen einen riesigen Hebel hat, weil sich eine Organisation dann oft verrennt und zwar meistens gar nicht in der Verleugnung, sondern in der Verwirrung. Dann steckt sie im Raum der Verwirrung fest, und keine:r weiß mehr, wie es jetzt weitergeht. Und plötzlich kommt es zu dem „Jetzt verstehen wir, wie es uns geht“-Effekt, der ganz viel in Bewegung setzt. Welche Erfahrung machst du denn?
«Das Beschreiben ist häufig schon ein Erkenntnisgewinn.»
Das ist ja gerade das Paradoxon im Raum der Verwirrung. Quasi darüber auf der Metaebene Orientierung zu schaffen. Die keine inhaltliche Orientierung ist, sondern erst einmal über den aktuellen Zustand. Und aus der systemtheoretischen Perspektive … nun ja, es wäre noch nicht einmal eine individualpsychologische Perspektive für mich, weil ich das „Haus der Veränderung“ eben auch schon aus systemischer und Organisationsperspektive betrachten und nutzen würde. Zum einen glaube ich, dass die Rahmenbedingungen, die man setzt, auch die Emotionalität bestmöglich begleiten sollten. Deswegen finde ich es immens wichtig, gerade mit Führungskräften, in Veränderungsprozessen daran zu arbeiten. Was sind denn eigentlich die Begleitinterventionen, die man setzen kann? So spielt es aus meiner Sicht eigentlich sehr schön zusammen. Ich kann mich gerne auf Rahmenbedingungen fokussieren, und gleichzeitig muss ich betrachten, wie es allen Beteiligten darin geht. Ich habe in der Führungsrolle immer noch eine Fürsorgepflicht. Die heißt nicht nur, Rahmenbedingungen herzustellen, sondern auch auf die Einzelnen zu gucken. Und die Individualität von emotionaler Verarbeitung von Veränderung macht solch ein Modell sehr griffig. Denn es geht ja nicht nur darum, das zu beschreiben, sondern anhand einer Beschreibung auch für sich herauszuarbeiten, was für mich als Führungskraft geeignete Unterstützungsmaßnahmen wären, geeignete Interventionen. Das Beschreiben ist häufig schon ein Erkenntnisgewinn, so wie du ihn gerade skizziert hast. Nur darf man als Organisation genau da nicht stehenbleiben. Nach der Erkenntnis muss ja auch irgendeine Intervention folgen. Die nächste Iterationsschleife in der Veränderung.
Irgendeine Handlung daraus ableiten, um etwas Konkretes anzubieten.
Als du das mit dem individualpsychologischen Blick sagtest, fiel mir ein, dass ich vor zwei, drei Tagen dazu etwas gelesen habe. Dass es natürlich auch individualpsychologisch immer wieder vorkommen wird, dass es jemandem anders geht und jemand sich anders fühlt, als das Modell es beschreibt. Und gleichzeitigt, auf der Organisationsebene, gibt es eine gewisse Vorhersehbarkeit der Massen, wenn man diese Beschreibung nimmt. Auch wenn man nie mit diesem Modell auf einen einzelnen Mitarbeitenden schauen sollte, um herauszufinden, wie man sie oder ihn konkret steuert. Denn das wird mir das Modell wahrscheinlich nicht beantworten können, bzw. es wird zu mechanistisch. Nach dem Motto „Ah, der ist jetzt in der Verleugnung, deswegen braucht er das“ oder „Aha, jetzt ist sie in der Verwirrung, deswegen braucht sie dies“. Dennoch habe ich gleichzeitig einen gewissen Effekt, der die komplette Gruppe betrifft. Was zu einer Dynamik für die größere Gruppe führt. Da die Führungsverantwortung zu sehen und zu erkennen, was ich meiner Gruppe an Handlungen anbieten könnte und wo sie sich gerade befinden, das sind die Gedanken die eine:n dann leiten.
Ja. Und wo auch häufig dann für Führungskräfte ein Erkenntnisgewinn drin liegt. Einem Führungsgremium klassischerweise über ein Sounding Board zurückzumelden bezüglich der Fragen, was wir gerade für einen Eindruck haben, welche Gerüchte in der Organisation kursieren, was die Befürchtungen sind, die gerade auf kollegialer Ebene geäußert werden. Wenn man das aggregiert und das „Haus der Veränderung“ daneben legt, ist da ganz häufig ein sehr schneller Erkenntnisgewinn für Führungsteams. Ah, okay, wir sehen die Masse bewegt sich gerade da oder da, und deswegen sollte unser Fokus auch der Begleitende sein. Die ständige Diskussion und der ständige Zwiespalt für Führungskräfte, wenn die Teams anfangen, sich zwischen Verleugnung und Verwirrung zu spreizen, wo sie ihre Aufmerksamkeit hinsetzen sollen. Da hilft es natürlich zu wissen, wo sich gerade die Masse befindet, während ich gleichzeitig die anderen nicht aus dem Blick verlieren darf.
Wenn wir das „Haus der Veränderung“ mit den vier Räumen Zufriedenheit, Verleugnung, Verwirrung und Erneuerung, wo man optimalerweise irgendwann ankommt, nehmen, konzentriert sich viel Handeln bzw. emotionale Kraft auf die zwei unteren Räume Verleugnung und Verwirrung. Da habe ich spannenderweise die Erfahrung gemacht, dass Menschen durchaus Veränderung können. Und das steckt ja auch schon im „Haus der Veränderung“ drin. Menschen können das! Jede:r Einzelne kann das, und gleichzeitig brauchen wir eine emotionale Akzeptanz, die uns weiterbringt. Es ist oft sehr viel hilfreicher, sich auf den Raum der Verwirrung zu konzentrieren als auf den Raum der Verleugnung. Denn dort besteht immer das Risiko, dass ich jemanden „pathologisiere“, nach dem Motto: Da will eine:r nicht und die/den muss ich einzelbeatmen. Und das, obwohl sie oder er vielleicht schon längst zwei Schritte weiter ist und sich gerade in der Orientierungslosigkeit befindet. Um den Grundgedanken zu unterstützen, dass sie das alle können, aber vielleicht mehr Orientierung benötigen, sollte dort mehr Fokus draufgelegt werden.
«Wenn du Widerstand wahrnimmst, freu dich doch.»
Total spannend. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, beide Räume unterscheiden zu können und auch tatsächlich zu unterscheiden. Ich erlebe es häufig in Organisationen, dass die Frage nach dem Detail, worum es eigentlich bei diesem Change geht, eigentlich eine Frage aus dem Raum der Verwirrung wäre. Sie wird jedoch gerne als aus dem Raum der Verleugnung stammend gelabelt. Dann wird die Frage nicht ernstgenommen, sondern überlegt, wie der Widerstand gebrochen bzw. mit ihm umgegangen werden kann. Zum Thema Umgang mit Widerstand gibt es, glaube ich, eine Million schlechter Bücher. Mit dem Modell im Kopf würde ich immer sagen: Sei froh! Wenn du Widerstand wahrnimmst, freu dich doch. Dann weißt du, dass deine Organisation angefangen hat, sich zu bewegen. Widerstand fühlt sich nicht immer gut an, das ist mir auch klar, aber er ist ein Zeichen, dass die Bewegung da ist. Im Widerstand werden die großen Themen geäußert, insofern glaube ich schon, dass es wichtig ist, eine Aufmerksamkeit für diesen Widerstand zu haben. Wenn ich ein gutes Klima schaffe, in dem es möglich ist, dass Widerstand geäußert wird, ungeklärte Fragen und Befürchtungen auf den Tisch kommen (und daran kann ich immer arbeiten, auch unabhängig vom Change), kann man damit explizit arbeiten. Große Sorgen machen mir die Veränderungsprozesse, in denen kein Widerstand sichtbar wird. Entweder, weil wir schon so viele Changes hinter uns gebracht haben und dies der x-te ist, der irgendwann vorübergehen wird (zurücklehnen, abwarten, bis der Change vorbeigegangen ist und dann wieder nach vorne kommen), oder es findet ganz andere Kanäle, die wir gerade nicht mitkriegen. Auch das wäre dramatisch in einem Veränderungsprozess.
Ansonsten bin ich völlig bei dir. Mehr Aufmerksamkeit auf den Raum der Verwirrung zu lenken, um dort für Orientierung zu sorgen, schafft Multiplikatoren, Quick-win und sendet auch ein deutliches Signal in die Organisation, dass wir uns nicht nur am Widerstand abarbeiten, sondern dass wir bei denen sind, die emotional schon ein wenig weiter sind und die unsere Orientierung genau jetzt brauchen.
Der Rest kommt schon. Das ist, finde ich auch, ein ganz wichtiger Aspekt, dass es total okay ist, dass nicht alle mit dem gleichen Tempo da durchgehen und dass sich die Einzelnen in unterschiedlichen Elementen des Hauses befinden. Und vor allem, besonders für Führungskräfte ist das ein wichtiger Aspekt, dass sie sich ja auch selbst darin befinden. Nur weil ich es mir aus der Führungsperspektive anschaue, heißt es nicht, dass nicht auch ich durch meine Emotionen durchgehe, mich an Hoch- und Tiefpunkten befinde und auch für mich Orientierung benötige. Auch das spielt eine wichtige Rolle.
Gerade dieser Aspekt ist, finde ich, für Führungsebenen, die Veränderungsprozesse initialisieren, eine immens wichtige Erkenntnis. In der Regel hat man sich beispielsweise mit einer Umstrukturierung als Vorstand ja schon häufig und lange auseinandergesetzt. Der Zeitpunkt der Verkündung ist dann in dem emotionalen Modell häufig für die Topebene der Moment, in dem man in den Raum der Erneuerung geht. Weil es mit der Verkündung erst einmal aus der ganz hohen Flughöhe abgehakt ist, wenn ich es ganz böse ausdrücke. Dann fängt allerdings die Emotionalität auf allen anderen Ebenen erst an. Insofern ist es wichtig, sich dieses Zeitversatzes bewusst zu sein, auch selbst den Schritt zurückmachen zu können und zu überlegen, was mir geholfen hat und dementsprechend der Organisation helfen könnte. Ich mache gute Erfahrungen damit, wenn Führungskräfte genau diese emotionale Reise in der Erstkommunikation mitkommunizieren. Wenn sie aufzeigen, dass, als sie sich das erste Mal Gedanken darüber gemacht haben, sie auch diese Sorgen und Fragen hatten und sich deshalb vorstellen können, dass diese auch in der Organisation ein Thema sind, wobei auch noch ganz andere Dinge passieren können.
Dass man auch sich selbst reflektiert und anderen eine Hilfestellung geben kann.
Ja.
Wir sind beide, das muss man wohl dazusagen, große Fans des „Haus der Veränderung“, weil wir beide immer die Erfahrung machen und das hat du vorhin auch gesagt, es hilft, Emotionen aus der stillen Ecke herauszuholen und sie besprechbar zu machen. Gemeinsame Worte dafür zu finden und dann zu schauen, was helfen kann. Es gibt aber auch noch andere Modelle, beispielsweise die Trauerkurve von Kübler-Ross, aber warum ist es bei dir das „Haus der Veränderung“?
«Wir haben dem Haus zusätzlich ein Dach gegeben und es das Dach der Weitsicht genannt.»
Weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es gut erinnerbar und damit für unsere Kund:innen auch greifbar ist. Außerdem arbeitet es die unterschiedlichen Facetten besser heraus, die in der Kurve, für mein Erleben, nicht ganz so stark herauskommen. Da habe ich Phasen, die ich durchlaufe, und allein für mich, assoziativ, zeichnet die Kurve immer diesen Verlauf nach vorne. Das Haus hingegen hat in den Räumen Türen, die sich in beide Richtungen öffnen lassen. Das hat eine viel höhere Dynamik und damit Anschlussfähigkeit zum Erleben. Sowohl in den Projekten als auch in meinem persönlichen Erleben. Wir bei Movendo haben dem Haus zusätzlich ein Dach gegeben und es das Dach der Weitsicht genannt. Dahinter steckt die Idee, dass man aus der Führungsrolle, vielleicht auch gemeinsam mit den Teams, immer mal wieder da hochklettern muss, um aus der eigenen Emotionalität zu lernen, um zurückzuschauen, was bis hierhin passiert ist und um vorauszuschauen, was die nächsten Schritte sein könnten. Diese Idee kriege ich bei der Kurve auch irgendwie unter, sei es, indem ich einen Helikopter darüber zeichne, aber nicht in der Konsistenz. Insofern gibt es eine ganz klare Entscheidung für das Haus bei mir.
Was ich total gut nachvollziehen kann. Was ich an dem Haus auch schöner finde, ist die Mehrdimensionalität und dass ich es angemessener finde für einen Businesskontext. Wenn wir, ohne die Details erklären zu wollen, die Trauerkurve nehmen, hat sie einen ganz anderen Ursprung und einen ganz anderen Fokus, was die Entwicklung, die dahintersteckt, betrifft. Auch beschäftigt sie sich gar nicht damit, was Veränderung in einem organisationalen Kontext bedeutet. Gleichzeitig hat sie auch eine andere Schwere. Was ich am „Haus der Veränderung“ mag, ist, dass man sich nach unten, aber auch schnell wieder nach oben bewegen kann. Damit stärkt es die Kernbotschaft, die ich gerne mitgebe, dass es keinen Grund gibt, dass irgendjemand in dieser Organisation Veränderung nicht kann. Weil es schlichtweg jeder Mensch kann. Und dann geht es darum, welche Rahmenbedingungen wir für die einzelnen Räume schaffen können, damit es gut funktioniert, dass wir da durchkommen.
Und die Kurve, finde ich, suggeriert, dass es irgendwo ein Ende gibt. Da kommt das Haus als in sich konsistentes Modell noch viel näher an die Realität, die wir heute haben. Dass viele Changes vom nächsten Change überholt werden und man gar nicht wirklich zum Abschluss kommt. Ich stecke für den einen Prozess noch in dem einen Raum, während ich beim anderen schon wieder loslaufe.
Die Metapher „Ich bin eigentlich immer im Treppenhaus unterwegs. Je nachdem, wo mein Team gerade ist, welchen Veränderungsprozess es betrifft, bewege ich mich immer hin und her“.
Vielleicht magst du noch zwei, drei Sätze zur Mehrdimensionalität sagen, die ihr umgesetzt habt, indem ihr das Ganze für euch mit dem Dach weiterentwickelt habt.
«Was da passiert, ist, dass du in einen Raum springst und plötzlich umgeben bist von Menschen, die gerade die Emotionalität des jeweiligen Raumes zum Ausdruck bringen.»
Was wir getan haben, ist, dass das „Haus der Veränderung“ als 360-Grad-VR-Anwendung zu produzieren. Dafür haben wir uns jeden einzelnen Raum vorgenommen und zusammen mit einer Schauspieltruppe die Emotionalität und die emotionalen Facetten in diesem Raum nachgestellt. Das als VR-Anwendung zu nutzen, ist ein geniales Erleben. Denn in dem Moment, wo du dir eine VR-Brille aufsetzt, tauchst du erst einmal visuell ab, du kannst es aber auch auditiv unterstützen, indem du dir Kopfhörer aufsetzt. Dann kriegst du keinen anderen Reiz mit, nur jenen, den dir die VR-Anwendung bietet. Was da passiert, ist, dass du in einen Raum springst und plötzlich umgeben bist von Menschen, die gerade die Emotionalität des jeweiligen Raumes zum Ausdruck bringen. Es gibt dann unterschiedliche Gruppen, zu denen man hinspringen kann. Da kann man sich auf der Zunge zergehen lassen, was gerade an typischen Verhaltensweisen gezeigt wird. Und auch da kommt unsere Idee mit der Weitsicht noch mal zum Tragen, denn du hast darüber hinaus die Helikopterperspektive und kannst dir alles von oben anschauen. Von dort kannst du auch in Gespräche mit Führungskräften abtauchen. Da gibt es dann zwei Führungskräfte, die darüber reden, was man gerade sehen kann und was man aus Führungssicht weiter tun könnte, um die emotionale Reise weiter zu begleiten. Und dann gehe ich in den nächsten Raum. Das ist aus unserer Sicht natürlich ein tolles Tool. Glücklicherweise hatten wir das schon vor Corona entwickelt. 2020 haben wir es auf der LEARNTEC vorgestellt. In der Zeit, in der wir fast ausschließlich virtuell gearbeitet haben, hat es für uns eine Lücke geschlossen, weil wir in Workshops teilweise die hohe Emotionalität, die das Thema Veränderung mit sich bringt, nicht mehr ganz so erlebbar bekamen. Da stellen wir unseren Kund:innen das Modell per Brille zur Verfügung, und dann kann man sich individuell ganz tief hineinfallen lassen und entsprechend reflektieren. Wir nutzen das auf der anderen Seite auch in Kund:innenorganisationen, die dann noch für sich Change-Räume einrichten und die Brille ihren Mitarbeitenden oder Führungskräften zur Verfügung stellen, um Emotionalität weiter erlebbar und besprechbar zu machen.
Das ist alleine deswegen schon sehr cool, weil es noch mal ein anderes Erleben ermöglicht und damit auch eine andere Möglichkeit, darüber zu sprechen. So kann dann in Workshops mit den Mitarbeitenden und Teammitgliedern tiefer eingestiegen werden, ein guter Startpunkt.
Genau. Du hast dann einen gemeinsamen Referenzrahmen, und der ist nicht dein eigener Change. Aus dieser Beobachtendenperspektive kann man sich dem Thema auch noch mal ein bisschen einfacher nähern, als wenn man sich direkt auf seine eigenen Emotionen stürzen muss.
Ich fachsimple total gerne zu diesen Themen mit dir, aber wenn auch wir jetzt aus unserem Gespräch reflektieren und überlegen, was für uns spannende Erkenntnisse sind, was würdest du festhalten wollen?
Ich glaube, genau das, womit wir eingestiegen sind. Nämlich, dass Emotionalität ein immens wichtiger Faktor in Veränderungsprozessen ist und wir sie daher nicht unterschätzen dürfen. Das, was uns hilft, ist nicht, dem Glaubenssatz nachzuhängen, dass ein reines Factsheet zum Thema Veränderung helfen würde, sondern dass wir das „Haus der Veränderung“ oder auch ein anderes Modell nehmen, das es uns ermöglicht, mit Emotionen transparent umzugehen. Sodass wir sagen können, dass es uns an einer Stelle grottenschlecht geht, dass wir Angst haben und wir dann gemeinsam einen guten Weg finden, damit zu arbeiten. Quasi die politisch korrekte Variante des „in den Arm nehmen und fest drücken“.
«Ich brauche eine konstruktive Konfusion, sonst ändert sich nichts.»
Der andere Faktor, den du gerade so schön betont hast, nämlich viel Aufmerksamkeit auf den Raum der Verwirrung zu legen. Auf den Zustand der Verwirrung, der im Changeprozess total normal ist, denn er muss ja sein. Ich brauche eine konstruktive Konfusion, sonst ändert sich nichts. Wenn unsere Verhaltens- und Gedankenmuster nicht durcheinander geschüttelt werden, wie soll dann etwas Neues entstehen? Dieser Raum und dieser Zustand brauchen aber viel Nähe und Begleitung, um daraus gemeinsam Orientierung zu entwickeln.
Ich glaube, diese drei Botschaften sind meine Zusammenfassung.
Zu allen drei: Ja, ja, ja. Was du gesagt hast. Und zu sehen, dass in einem Modell immer eine Beschreibung ist, die ich konstruktiv nutzen kann. Wenn ich ein Modell zum Thema Emotionen nutze, kann ich das konstruktiv einsetzen und aktiv mit dem Gedanken nutzen, was ich dazu beitragen kann, dass wir alle, inklusive mir, gut durch diesen Veränderungsprozess kommen. Gut im Sinne von emotional/psychologisch stabil. Das steckt für mich sehr stark in der Arbeit mit den Modellen. Gleichzeitig glaube ich, das haben wir gar nicht so vertieft, aber der Gedanke kam mir gerade, dass man dabei nie vergessen darf, dass es auch entscheidend ist, mit welchem Menschenbild ich auf dieses Modell schaue. Wie ich es dann umsetze. Deshalb ist für mich diese Kernbotschaft „Menschen können Veränderung“ so ein wichtiger Punkt. Denn dann geht es um etwas ganz anderes, als wenn wir darüber sprechen, wie wir die Leute durch die Verleugnung durchbekommen. Das finde ich noch mal einen wichtigen Aspekt. Und was ich auch sehr wichtig finde, ist, dass es überhaupt wieder eine Methode gibt, Emotionen besprechbar zu machen, in einem Kontext, der hochemotional ist. Denn das, was sonst entsteht, wenn wir immer ignorieren, dass es in solchen Situationen Emotionen gibt, sind Risiken für die psychische Gesundheit aller Beteiligten. Meine Hoffnung ist, dass durch diese kollektive Corona-Erfahrung, die ja auch für alle eine gigantische kollektive Veränderungserfahrung bedeutet hat und bei der es wenige Menschen geben wird, die sagen, sie seien völlig emotionslos durch diese Zeit gegangen, das Bewusstsein entstand, dass es Emotionen gibt und wie gut es uns getan hat, darüber zu sprechen. Wenn wir dann noch eine gemeinsame Sprache dafür haben und erkennen, wie wir handeln können, damit es allen Beteiligten in einer Veränderung gutgehen kann, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Nun muss ich einen Abschluss für dieses Gespräch finden …
Ganz herzlichen Dank, Marc, für dieses schöne und aufschlussreiche Gespräch.
Es war mir ein Vergnügen.
Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://itsaboutleadership.de/podcast/
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