Mit wem sprechen wir in dieser Folge?
Dr. Hannah Herlemann-Wegener.
Aus welchem Bereich kommt unser.e Gesprächspartner.in?
Dr. Hannah Herlemann-Wegener ist Value Stream Manager bei Mars und verantwortlich für die Produktionslinie des Mars-Produkts „Balisto“. Sie ist in einem zumeist männlich geprägten Umfeld unterwegs und kam als fachfremde Quereinsteigerin in ihr Team. Hannah ist Mutter und Führungskraft mit Leib und Seele.
Was Hannah über sich sagt:
Ich bin Hannah, eine vollzeitarbeitende Vollzeitmama und habe zurzeit, laut meinen Söhnen, den coolsten Job der Welt, denn ich arbeite in einer Schokoladenfabrik.
Angefangen habe ich als Trainee in einem großen Konzern, habe im Ausland, u. a. in Rumänien, gearbeitet, war im Personalbereich und als Vorstandsassistenz tätig, habe bei einer Expansion mitgemacht und zweimal eine Trainingsabteilung aufgebaut. Meine Aufgaben waren immer personallastig, und in meiner jetzigen Rolle stelle ich fest, dass es auch hier um Personal geht. Personal, das ich endlich selbst führen kann, nachdem ich so lange durch die HR-Business-Partner-Brille geschaut habe. Ich habe mega viel Spaß.
Du hast unglaublich viel gemacht, immer international gearbeitet, warst in der Schulzeit in den USA, hast also auch den interkulturellen Aspekt. Heute arbeitest du in Vollzeit, bist Führungskraft und Mutter von zwei Kindern. So viele Aspekte, die mit dem Thema Führung zusammenhängen – in deiner formalen Führungsposition, aber auch in deinen anderen Aufgaben, die du zuvor ausgeübt hast. Und als Mutter. Beschreibe doch bitte mal die Hannah aus der Schokoladenfabrik. Wie sieht deine Rolle heute aus, wo übernimmst du Führungsverantwortung?
«Ich versuche, 86 Menschen zu rocken.»
Ich arbeite als Value Stream Manager, was auf Deutsch wohl Produktionsleiterin wäre. Ich bin zuständig für die Produktion einer Schokoladenriegel-Linie. Wenn ihr also genüsslich in ein Balisto beißt, kommt es aus meiner Linie. Zu meinem Bereich gehört die komplette Linie. Das bedeutet nicht, dass ich selbst dort stehe und die Schokolade rühre, auch wenn meine Söhne das denken, und ich packe auch nicht jeden Schokoriegel selbst ein. Stattdessen habe ich grandiose Teamleiter.innen, die jeweils ein Team führen, das eine Schicht abdeckt. Ich bin dafür zuständig, diese komplette Linie zu führen, zu begeistern und dorthin zu führen, wo sie idealerweise das Beste aus sich herausholen können. Dazu gehören Menschen und Maschinen. Kurz gesagt: ich versuche, 86 Menschen zu rocken.
Von diesen 86 Menschen, die du versuchst zu rocken: wie viele davon sind weiblich?
Zwischen 12 und 15 Frauen, auf allen Ebenen. Ich habe Frauen, die an der Linie stehen und die Riegel einpacken und Frauen, die die Schokolade rühren. Und dann habe ich eine fantastische Teamleiterin. Zurzeit propagiere ich sehr, dass es eigentlich keinen Job gibt, der bei mir nicht von einer Frau gemacht werden kann. Ganz im Gegenteil, ich möchte, dass überall auch Frauen sitzen.
Wie sehr stößt das auf Gegenliebe in deinem Umfeld?
Da kommen für mich unterschiedliche Aspekte rein. Zum einen gibt es für mich keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, es gibt allerdings körperliche Aspekte, die eine Rolle spielen. So müssen die Balistos eingewickelt werden, wofür das Verpackungsmaterial auf sehr großen Rollen bereitsteht. Solch eine Rolle wiegt zehn Kilogramm. Vermutlich ist es einfacher für einen Mann, diese zehn Kilogramm über Kopfhöhe zu heben als für eine Frau. Wobei sich dann die Frage stellt, ob das ein Grund ist, warum eine Frau diesen Job nicht machen kann. Meine Antwort darauf lautet „Nein“. An dieser Stelle komme ich noch aus einer weiteren Richtung. Nämlich mit den Überlegungen, ob es eine Möglichkeit gibt, dass auch eine Frau die Rolle heben kann sowie dass es – egal wie – nicht ergonomisch ist, eine zehn Kilogramm Rolle über Kopf heben zu müssen. Das ist weder für Männer noch für Frauen gesund.
«Führung muss Spaß machen.»
Du bist eher fachfremd in deinem Job, der zudem auch eher männerdominiert ist. Wie würdest du dich selbst und dein Verständnis von Führung beschreiben – im Vergleich zu deinem Umfeld?
Führung muss Spaß machen. Intuition und Authentizität sind wichtig. Das kommuniziere ich so mit meinem Team, und das ist es auch, was mich in meiner Führung sicher macht. Ich denke, diese Authentizität macht mich erfolgreich, denn sie kriegen immer die komplette Hannah mit all ihren Facetten.
Auch mit denen, die sie nicht so gerne haben.
Genau. Alle Facetten, mit meinen Stärken, aber auch mit meinen Schwächen. Für mich gehört dazu, mich auch mal vor mein Team zu stellen und zuzugeben, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Oder mich vor sie zu stellen und ihnen zu sagen, wie sehr sie gerockt haben und was für fantastische Ergebnisse erzielt wurden. Die komplette Bandbreite. Nur so gelingt es mir, das, was ich fühle, zu transportieren. Zum einen freue ich mich darüber, was sie erreicht haben, zum anderen ärgere ich mich über meinen Fehler. Dazu stehe ich, das ist für mich Authentizität. Das macht es für alle einfacher, weil meine Mitarbeitenden auch merken, dass ich ihnen nichts vormache.
Ich kann nicht sagen, dass sie immer wissen, woran sie sind, aber es ist eine gewisse Klarheit da. Und es hilft ihnen, in ähnlichen Situationen ähnlich zu handeln. Ich reiße niemandem den Kopf ab, weil sie/er einen Fehler begangen hat. Aber ich lobe jeden, die/der einen Fehler zugibt.
Wenn ich deine Teamleitung fragen würde, wie es so mit der Hannah ist, wie würden sie dich beschreiben?
«Du führst anders.»
Hannah ist anders.
Gerade letzte Woche hatte ich eine Diskussion mit einem Mitarbeiter, in der es um den Vergleich mit einem Kollegen ging. Da fiel der Satz „Hannah, du führst anders.“ So führe ich zum Beispiel selten über Zahlen. Mir geht es immer um die Person. Ich denke, über mich würde gesagt werden, dass ich cool im Sinne von verlässlich bin, zuhöre und da bin, wenn ich gebraucht werde. Fairerweise käme aber vermutlich auch: wenn sie etwas nicht interessiert, kriegst du es sofort mit. Angeblich rolle ich dann mit den Augen, nach dem Motto „Nicht so viele Details, die will ich gar nicht wissen. Was ist der Punkt?“.
Spielt es in deinem Führungsalltag eine Rolle, dass du fachfremd bist?
Ja. Weil ich dadurch einen völlig anderen Fokus auf Dinge legen kann und muss. Ich komme nicht aus dem Ingenieurswesen, habe nicht Ablauf-, Herstellungstechnik oder ähnliches studiert. Doch schlussendlich geht es um Prozesse, und da ich gut logisch denken kann, kann ich diesen Prozessen folgen. Alles andere ist dann reine Führung. Weder stehe ich an der Linie, noch muss ich eine Maschine reparieren. Ich motiviere die Menschen, die die Menschen motivieren, die an der Linie stehen oder motiviere den oder die Mitarbeiter.in an der Linie selbst. Darum geht es. Ich muss nicht wissen, wie viel Schokolade wo rauf muss.
«Jeden Tag gehe ich mit einem „Sendung mit der Maus“-Gefühl in meine Fabrik.»
Jeden Tag gehe ich mit einem „Sendung mit der Maus“-Gefühl in meine Fabrik und frage mich, wie es heute wird. Das ist toll, dafür habe ich eine gewisse Begeisterung, was mir hilft. Im Gegenzug kann ich meine Mitarbeiter.innen natürlich fachlich nicht so unterstützen wie ich es manchmal wollen würde. Das sage ich aber auch und versuche, ihnen ein Supportsystem zu geben, da es genügend andere Leute gibt, die ihnen ihre Frage beantworten könnten. Auf einer abstrakten, logischen Ebene kann ich das auch, aber ich habe keine Antwort, wenn es um die Frage geht, ob wir jetzt noch mehr Schokolade hinzufügen oder nicht. Dafür gibt es andere.
Im Zweifelsfall hilfst du, herauszufinden, wer die Frage beantworten kann.
Genau. Ich führe Führungskräfte und möchte ihnen helfen, gute Führungskräfte zu sein, nicht fantastische Techniker.innen.
Was gelingt dir besonders gut im Bereich Führung?
Ich glaube, Leute zu motivieren und zu begeistern. Das ist für mich ein großer Aspekt von Führung. Außerdem glaube ich, über Positives viel erreichen zu können. Ich bin niemand, die Schuldige sucht und bestraft. Lieber generiere ich über „Stärke deine Stärken“ ein Momentum, welches dann weiter beflügelt und irgendwann auch Schwächen ausgleichen bzw. eliminieren kann. Ich kann Mitarbeitende gut pushen.
«Es hat gar nicht wehgetan.»
Was gelingt dir weniger gut? Was liegt dir nicht so?
In einen direkten Konflikt hineinzugehen. Ich bin nicht konfliktscheu, komme aber immer aus diesem positiven Ansatz. Wenn der Fehler offensichtlich war, frage ich direkt, was wir daraus lernen und besser machen können. Ich lege den Finger nicht in die Wunde.
In einigen Situationen allerdings habe ich den Finger aktiv in die Wunde gelegt, und das erwies sich auch als gut. Ob ich in diesen Momenten allerdings natürlich und authentisch war? Vielleicht eher nicht. Allerdings wird es immer natürlicher, je mehr ich in die Rolle wachse. Am Anfang war das für mich riesig und emotional anstrengend, heute fällt es schon fast unter „ein normaler Tag“, dessen Datum sich nicht bei mir einbrennen wird. Ein bisschen wie beim Zahnarzt: es hat gar nicht wehgetan.
Es ist ein Erfahrungsprozess zu lernen, dass die Welt davon nicht untergeht.
Absolut. Ich habe in den letzten Jahren realisiert, wie viel über Zeit geht. Was in einem Moment ganz schrecklich und dramatisch ist, verliert mit der Zeit an Dramatik. Außerdem hilft es, dass daran gearbeitet wurde und sich etwas verändert hat.
Wo sind deine größten Reibungspunkte innerhalb deiner Welt (die Jahre in Rumänien, in HR-nahen Rollen im Konzern, dein Arbeitsalltag in einem männerdominierten Umfeld, dein Muttersein)?
Mein Anspruch, allen zu mehr als 100 Prozent gerecht werden zu wollen. Ich will die tolle Führungskraft sein, will das tolle Teammitglied und gleichzeitig auch die super Mama sein. Nicht zu vergessen, die super Ehefrau. Dem allen gerecht werden und mich selbst dabei nicht zu vergessen. Vielleicht ist das klischeehaft, so ein Frauending: erst alle anderen, dann ich. Innerhalb dieses Spannungsfeldes geht es viel um Zeit: welcher Rolle kann und will ich wie viel Zeit einräumen und wie viel Freiheit habe ich, das auch so zu tun wie ich es gerne möchte? Zurzeit bin ich in einer sehr glücklichen Position, dass alles irgendwie geht.
Außerdem reibe ich mich daran, dass nicht alle das Verständnis von Dingen haben, wie ich es habe. Auf Führung gemünzt: wie ist meine Art zu führen, wie ist der Führungsstil anderer? Wobei ich da sehr tolerant bin. Sollen andere es machen wie sie wollen, ich gehe mit meinen Leuten so und so um.
Und natürlich ist die Fachfremdheit ein weiterer Punkt. Aber auch das ist eine Frage der Zeit. So habe ich sehr viel dazugelernt, einen neuen Wortschatz kennengelernt und kann nun Dinge benennen, die früher keinen Namen gehabt hätten.
Wie verhältst du dich, wenn du dich gerade ganz besonders an etwas reibst?
Erst mal mache ich das mit mir selbst aus und denke wahnsinnig viel darüber nach. Quasi die stille Hannah, was sehr ungewöhnlich ist, wenn man mich kennt. Ich denke nach und brauche meine eigene Zeit für mich. Spannenderweise kann ich ganz großartig beim Autofahren nachdenken. Ich habe mich sehr schwer getan bei der Entscheidung, von der Personalrolle in die sehr funktionale Rolle zu wechseln. Mir half es, meine beste Freundin in Hamburg zu besuchen. So fuhr ich 1.000 Kilometer Autobahn, und danach war die Entscheidung getroffen.
Nachdenken, Stille, für mich sein. Wenn ich so werde, weiß mein Umfeld, dass bei mir etwas los ist.
Wer oder was hat dich in deiner Art der Führung geprägt? Von wem oder was hast du gelernt bzw. dich inspirieren lassen?
Im Großen von allen Vorgesetzen, die ich jemals hatte. Von allen Führungskräften, die sich „an mir versucht“ haben. Fairerweise bin ich heute so weit, dass ich sagen kann, dass ich von jeder Führungskraft das Beste mitgenommen habe, Fragmente von allen. Und ich sage auch, dass ich so führen will, wie ich selbst geführt werden möchte. Das macht es einfacher, zumal ich mich fragen kann, ob das, was ich jetzt tue, mir selbst auch helfen könnte und was ich erwarten würde. In Absprache mit meinen Mitarbeitenden mache ich das dann.
«Ein bisschen Bauchgefühl ist einfach immer dabei.»
Außerdem lese ich viel, und das, was ich gelesen habe, wird dann auf Autofahrten verdaut und später umgesetzt. Der Rest ist Intuition. Womit wir wieder zum Thema Authentizität zurückkehren.
Ein bisschen Bauchgefühl ist einfach immer dabei. Ich frage mich, ob es die geborene Führungskraft gibt. Das glaube ich nicht. Aber ich denke, es gibt Leute, die es einfacher können und andere, die noch so viele Seminare durchwandern können, sie werden es nicht lernen. Aber das versuche ich noch zu ergründen.
Ich nehme das als Unterschied zwischen „Manager“ und „Leader“ wahr. Es gibt Führungskräfte, die eine sehr hohe Managementkompetenz haben und damit für bestimmte (Führungs-)Aufgaben sehr geeignet sind. Doch da, wo Begeisterung entfacht werden und alle an einem Strang ziehen sollen, reicht diese Managementkompetenz nicht aus. Da braucht es auch eine Leadershipkompetenz, die vielleicht schwieriger zu erlernen ist.
Ja, da ist einiges dran. Und es ist wichtig, Mitarbeitenden erst einmal die Chance zu gehen, dies überhaupt erlernen zu können und nicht sofort zu erwarten, dass jemand auf eine Führungsposition gesetzt wird und sofort alles kann. Die Erfahrung haben wir beide gemacht, dass das nicht funktioniert.
Beide lachen.
Was war für dich bisher die größte Herausforderung im Bereich Führung?
Nach meinem ersten Kind zurück zur Arbeit zu kehren. Denn dort scheiterte ich zum ersten Mal, was für mich völlig neu war. Außerdem stellte ich fest, dass ich die alte Hannah, also die ohne Kind und ihre Arbeitsweise nicht länger beibehalten konnte. In der Zeit habe ich eine Sache so richtig vor die Wand gefahren. Ich hatte ihr nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, und es war eigentlich klar, dass es schiefgehen musste.
Daraufhin wurde mir klar, dass es so nicht funktioniert. Das ist die Entwicklung, die besonders Frauen mitmachen, die Kinder bekommen. Vorher haben sie wie auch immer gearbeitet, und plötzlich ist ein anderer Pol da, ein kleiner Mensch, der auch betreut werden möchte und Zeit einfordert. Da ist es dann nicht mehr möglich, mal eben eine Nachtschicht einzulegen oder ihn nicht vom Kindergarten abzuholen. Sich da neu zu sortieren, empfand ich als schwierig.
Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, diese neuen, eigenen Einschränkungen zu akzeptieren. Kein völlig freies Agieren mehr.
Es fühlt sich wie eine Limitierung an, auch wenn man so nicht denken möchte, denn ein Kind ist keine Limitierung. Doch dieses Gefangensein in einem Arbeitsumfeld, das auch Druck ausübt, das ist heftig. Zumal das Arbeitsumfeld ja dieselben Erwartungen hat wie zuvor. Die passen sich nicht an, nur weil man nach sechs oder sieben Monaten Elternzeit zurückkommt und seinen Job wieder aufnimmt.
Was würdest du tun, wenn du in der schönen Situation wärst, jemanden zu begleiten, der in der Führungsrolle ist, ein Kind hat, nun wieder zurück in den Beruf kehrt und vor denselben Herausforderungen steht wie du?
«Ich rate ihnen, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen.»
In der Tat erlebe ich das gerade, da ich zurzeit nicht nur Frauen, sondern auch Männer habe, die vor kurzem Eltern geworden sind. Ich rate ihnen, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen. Sei es Elternzeit, gestückelt, Urlaub, Sonderfreitage, „Kind ist krank, ich arbeite von zu Hause“. Sie sollen es tun, denn das ist wichtig. Bei einer Mitarbeiterin habe ich gesagt, dass sie zu den Konditionen, zu denen sie kann, wiederkommen soll. Sie soll sich vorher überlegen, was sie leisten kann und möchte, und wir werden immer etwas finden. Projekte gibt es immer genug. Sie soll sagen, was sie dem Unternehmen geben kann, damit wir als Unternehmen die Möglichkeiten voll ausschöpfen können. Denn in solch einer Situation ist es die/der Mitarbeitende, die/der sagt, was geht und was nicht.
Mitarbeitende geben somit die Rahmenbedingungen vor, und das Unternehmen überlegt, was es mit den Rahmenbedingungen macht?
Ja, wobei ich fairerweise sagen muss, dass ich das erst so sehe, seitdem ich selbst Mutter geworden bin. Ich merke, dass ich in diesem Bereich eine andere Führungskraft geworden bin. Damals hatte ich einen Mitarbeiter, der auch Kinder hatte. Und an dieser Stelle: Lieber Carsten, ich hoffe, du hörst dies irgendwann. Was für eine schlechte Führungskraft ich damals war, was ich von dir verlangt habe ...
Im Nachhinein denke ich, wie schrecklich ich eigentlich war. Als junge Führungskraft, noch keine 30, Familienplanung noch in weiter Ferne, heißt es „Hans Dampf in allen Gassen“.
Und dass es noch andere Blickwinkel auf die Welt geben könnte, ist da noch ganz weit weg.
Oh ja.
Lass uns gemeinsam einen Blick in die Zukunft werfen. Was denkst du, in welche Richtung sich Führung entwickeln wird? Was ist deine persönliche Vision zu Führung in deinem Umfeld/Tätigkeitsbereich?
«Versteck dich nicht, versuche nicht, eine Rolle zu füllen, sei authentisch.»
Ich weiß nicht, wie zukunftstragend meine Form der Führung ist. Aber was ich jeder Führungskraft sagen würde ist: sei du! Versteck dich nicht, versuche nicht, eine Rolle zu füllen, sei authentisch. Das ist das Wichtigste.
Und den Menschen mit seinen Skills zu sehen. Also beim Blick auf das Team und der Fragestellung, wie ich dieses Team voranbringen kann, nicht nur den Blick auf die Individuen legen. Sich die Frage stellen, wie das gesamte Team wachsen kann. Darauf schauen, was in dem Team notwendig ist und auch schauen, wer in die Teamdynamik passt – abseits der Qualifikationen.
Was braucht es, damit dies überall funktionieren könnte?
Vorbild sein und leben. Darüber sprechen. Ein Bedürfnis aller Führungskräfte, immer weiter lernen zu wollen, sich selbst zu verbessern und weiter inspirieren lassen zu wollen. Von wem auch immer: einer anderen Führungskraft, einem Buch, einer/m Vorgesetzten, egal wer. Einfach jemand, bei dem man sagt: Das finde ich cool, das gefällt mir. Kann ich das auch nutzen?
So kommen wir zum Offensein für das Lernen.
Was ich oft von anderen Führungskräften höre, ist auch, sich selbst so zu priorisieren, dass dafür die Zeit besteht und selbst nicht im operativen Fluss unterzugehen. Dass Zeit bleibt, auch mal den Kopf zu heben und sich von anderen inspirieren zu lassen. Ist das bei euch auch ein Thema?
Wir haben gute Kontaktpunkte, um uns inspirieren zu lassen. So finde ich es super inspirierend, wenn unser regionales Team mal vorbeikommt. Aber auch mit allem anderen, sich einfach mal ausprobieren, auf seinen Bauch hören. Womit wir wieder bei der Intuition sind und ob sich etwas richtig anfühlt. Hindert uns etwas? Nein. Dann machen wir es! Mutig sein und einfach mal machen.
Sind das auch Fragen, die du dem Team stellst oder machst du sie mit dir selbst aus?
Jetzt, wo du mich so fragst, würde ich sagen, dass ich sie erst einmal für mich beantworte, doch die Mitarbeitenden, die davon betroffen sind, kriegen die Auswirkungen dann mit. Ein konkretes Beispiel ist der Mitarbeiter, den ich sehr kurzfristig für zwei Monate für ein Projekt ins Ausland schicke, weil er Lust darauf hat. Die Idee wurde vor zwei Wochen geboren, in der letzten Woche haben wir versucht, die Rahmenbedingungen festzuziehen, und dann ist er weg. Das fühlte sich gut und richtig an. Was hat uns gehindert, es zu tun? Nichts. Also warum machen wir es nicht?
Ich habe mir dann Gedanken über den Entwicklungsplan dieses Mitarbeiters gemacht. Dieser Aufenthalt ist gut für ihn, er wird eine neue Perspektive kriegen, es ist gut für das Unternehmen, weil wir einen total tollen, „neuperspektivierten“ Mitarbeiter mit neuen Eindrücken zurückbekommen. Also können wir nur gewinnen. Natürlich muss ich mir überlegen, wie ich ihn in den zwei Monaten ersetze, aber so kann ich wiederrum einer/m anderen Mitarbeiter.in die Möglichkeit geben, in diese Rolle reinzuschnuppern, für die sie/er sich interessiert. So kann die Person testen, ob diese Rolle für sie etwas wäre, und alle sind zufrieden.
Welche Frage habe ich dir nicht gestellt, auf die du aber gerne antworten würdest?
«Das Schrecklichste an Führung ist die Verantwortung.»
Was ist das Schrecklichste an Führung!
Das Schrecklichste an Führung ist die Verantwortung. Ich merke, welche Auswirkungen Führung hat, denn man hat mit Menschen zu tun und beeinflusst sie natürlich auch. Ich habe keine Angst, etwas kaputtzumachen. Aber irgendwie doch. Ich möchte meine Mitarbeitenden nicht schädigen, nur weil sie mit mir zusammengearbeitet haben und ich ihre Führungskraft war. Aber es ist wichtig, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein, denn es geht um die Menschen und was es mit ihnen macht. Wenn ich überlege, wie viel Zeit wir mit der Arbeit verbringen, wie groß dieses Thema im Leben ist, dann hat das auch gut zu sein. An dieser Stelle spüre ich die Verantwortung.
Was macht das mit dir?
Auf der einen Seite macht es mich stolz, weil ich diese Verantwortung gerne trage. Auf der anderen Seite ist das auch immer meine „Zweiflerkalibrierung“: ist es gut, was du hier machst, ist es richtig, was du hier machst? Idealerweise gelange ich dann zu dem Schluss, dass es durchaus gut und richtig und so in Ordnung ist. Und das motiviert mich dann wiederum, diese Verantwortung zu tragen.
Ein sich selbst bestätigendes System an Bestärkung. Sehr schön.
Jetzt kommt meine letzte Frage. Heute habe ich mit dir gesprochen. Was meinst du, mit wem sollte ich auch ein Gespräch führen?
Eine meiner ehemaligen Chefinnen und eine Dame, die bei uns im Unternehmen als Coach tätig ist, würden mir da einfallen.
Was würde die beiden zu interessanten Gesprächspartnerinnen machen?
Meine ehemalige Chefin hat mich sehr geprägt, und ich habe ganz viel von ihr mitgenommen, was großartig ist. Im Nachhinein bin ich ihr unendlich dankbar dafür, und ich habe ihr gesagt, dass ich heute da bin, wo ich bin, weil sie mich dorthin gebracht hat. Wenn ich darüber rede, kriege ich Gänsehaut.
Die andere Dame ist Führungskräftecoach in meinem jetzigen Unternehmen. Sie kann voller Energie über dieses Thema reden, was es wunderbar macht, ihr zuzuhören. Jedes Mal ist es eine Wonne und macht wirklich Spaß. Ich habe sie irgendwann mal als „Sie ist die Bombe“ vorgestellt.
Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://soundcloud.com/user-675701835/episode-02. Dort finden sich auch alle unsere weiteren Podcast-Folgen.