It‘s about Leadership

Podcast "It's about Leadership" - Folge 9

14. Februar 2020

Mit wem sprechen wir in dieser Folge?

Markus Biermann.

 

Aus welchem Bereich kommt unser.e Gesprächspartner.in?

Markus Biermann ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Mediaagentur Crossmedia, mit Sitz in Düsseldorf. Diese Agentur gibt es seit über 20 Jahren, und in dieser Zeit ist sie stark gewachsen. Jos Mann arbeitete für Crossmedia (an dieser Stelle ein kleiner Disclaimer, dass sie deshalb etwas befangen sein könnte).

Markus hat als Gründer viel geprägt, unbewusst, bewusst, intuitiv mitgestaltet, was die DNA des Unternehmens heute ausmacht. Er hat einen extrem hohen Unabhängigkeitsdrang und bezeichnet sich selbst im Laufe des Gesprächs als Realromantiker. Was er darunter versteht, erklärt er im Gespräch. Außerdem schlagen wir einen Bogen zu den großen Themen, die uns alle beschäftigen, z. B. Automatisierung und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

 

Dann starte ich direkt mit der ersten Frage: wo kommst du gerade her?

Ich komme direkt aus dem Büro, nachdem ich zwei Tage in München war. Heute Morgen hatte ich ein Gespräch mit zwei weiteren Geschäftsführern und einem neuen Mitgeschäftsführer einer neuen Company. Das war sehr gut.

 

«Das waren ganz viele Glücksmomente aneinander und viele Leute, die mitgeholfen, sich für die Sache entschieden und an einem Strang gezogen haben.»

 

Bitte erkläre doch allen, die dich noch nicht kennen, wer du bist, wie du dahin gekommen bist, wo du heute bist, was dich ausmacht.

Weite Fragestellung.

Mein Name ist Markus Biermann, ich bin Mitte 50, gebürtig aus Bochum und in Witten aufgewachsen. Ich habe drei bis fünf Kinder und bin in Düsseldorf frisch verheiratet.

Mit einer relativ bescheidenen Note habe ich mein Abitur in Witten gemacht. Danach habe ich nicht das Studium gewählt, sondern die Ausbildung. Das war mein erster Glücksmoment. Ich war bei der WAZ, habe dort die Ausbildung gemacht und wurde zum ersten Mal in meinem Leben so richtig gebraucht. Das Thema Medien hat mich nicht mehr losgelassen, sodass ich den Kommunikationswirt im Abendstudium machte und den Weg in Media fand. Dort brachte ich unterschiedliche Stationen hinter mich. Als ich merkte, dass ich eventuell geeignet sein könnte, in einem größeren Konstrukt Geschäftsführer oder ähnliches zu werden, war mir klar, dass ich das nicht wollte. Ich hatte, glaube ich, schon immer einen großen Unabhängigkeitsdrang und wollte mein eigenes Ding machen. Wenn man als Angestellte.r in die Strukturen anderer Unternehmen reinschaut, sieht man ganz schnell, wo einem Grenzen aufgezeigt werden, die man eigentlich nicht haben will und braucht und auch nicht braucht, um erfolgreich oder glücklich zu sein. Von daher habe ich irgendwann entschieden, es auf eigene Faust machen zu wollen. Das daraus die Crossmedia mit heute über 300 Mitarbeitenden in Deutschland, einem ähnlich großen Konstrukt, das nicht dazugehört, aber in New York ansässig ist und einer weiteren Firma in London, die zurzeit neue Kund.innen gewinnt, geworden ist, war nicht absehbar. Das waren ganz viele Glücksmomente aneinander und viele Leute, die mitgeholfen, sich für die Sache entschieden und an einem Strang gezogen haben.

 

Wie hast du es gemacht, diese Leute zu finden und den Schritt zu gehen?

Darauf gibt es keine klare Antwort. Ich glaube, das ist ein Sammelsurium von Dingen, die in die Karten gespielt haben. Gestartet hat es damit, dass ich gesagt habe, dass ich ein Mann für die zweite Reihe sei. Ich hatte gar nicht den Anspruch, derjenige zu sein, der seinen Stempel überall aufdrückt. Ich würde heute sagen, was ich früher als Nachteil für meine Karriere betrachtet hätte, ist ein Asset. Nämlich neben sich und miteinander Leute wachsen zu sehen, die im Kern viel besser sind als man selbst. Nicht mehr darauf fokussiert zu sein, dass man selbst immer der Beste, derjenige sein muss, der auf alles eine Antwort hat, sondern die Chance hat, Leute zu begeistern und sie erkennen zu lassen, dass sie eine gleichgewichtige Meinung vertreten und gestalten dürfen und dass es nicht nur ein oben gibt, bei dem sie nicht dazugehören. Das ist der eine Aspekt. Der zweite Aspekt ist, dass ich verschiedene Pendants zu meinen Schwächen gefunden habe. Ich glaube, ich bin ein unstrukturierter Mensch. Ich bin für ganz viele Bälle in der Luft, aber nicht gut im Auffangen der Bälle. Deshalb brauche ich immer Leute, die in der Lage sind, diese Bälle aufzufangen und mir nicht sagen, dass ich zu viele Bälle in der Luft habe. Stattdessen sollen sie sagen, dass sie vier Bälle fallenlassen, den fünften aber fangen, denn der ist so richtig geil und daraus wollen sie etwas machen. Dafür braucht es andere Charaktereigenschaften als die, die ich habe.

 

War es ein bewusster Prozess, dass du dir Menschen gesucht hast, die „Schwächen“ ausgleichen?

 

«Der Eine sieht die Stärken des anderen, ohne auf den Schwächen rumtrampeln zu müssen.»

 

Nein. So viel Weisheit würde ich mir nicht zuschreiben. Ich glaube, das basiert auf Freundschaft, Sympathie, auf der Anerkennung des anderen und dass sich erst im Laufe der Zeit herausstellt, dass die andere Person genau die Schwäche abdeckt, die ich nicht abdecken kann. Dass dieser Mensch dort eine Stärke hat, wo ich eine Schwäche habe. Dass wir das in der Summe als Führungsteam der Crossmedia heute haben, ist sehr, sehr gut gelungen. Heute halte ich an diesem Prinzip fest.

Wir haben sehr oft eine zweigeteilte Verantwortung. So wird der Standort Bielefeld heute von einem (bitte entschuldige, Sven!) typischen Ostwestfalen geleitet. Das ist seine absolute Stärke, aber für die Anbahnung von Geschäften manchmal auch nicht förderlich. Daneben haben wir, einen, glaube ich, auch gebürtigen Westfalen, der aber eher rheinisch geprägt ist. Die beiden ergeben ein Superteam und rocken das. Der Eine sieht die Stärken des anderen, ohne auf den Schwächen rumtrampeln zu müssen. Das ist im Kern das, was wir gut ausgebildet haben.

 

Du hast das Unternehmen 1997 gegründet. Seitdem ist einiges passiert. Wie würdest du deine Rolle im Unternehmen heute beschreiben?

Die ist nicht ganz fix, sie ist im Wandel begriffen. Das ist manchmal auch jahreszeiten- bzw. phasenabhängig. Ich denke, dass es Phasen gibt, in denen es mich nicht braucht. Da könnte ich vier Wochen oder auch vier Monate nicht da sein, ohne dass das Geschäft leidet. Dann aber gibt es wieder Phasen, wo ein Stück weit der Feuerwehrmann Markus gebraucht wird oder derjenige, der dafür sorgt, dass neue Denkanstöße, die querbeet im Unternehmen vorhanden sind, in der Tagesordnung nach oben gehievt werden und nicht im Tagesgeschäft untergehen.

 

Also ein bisschen Prioritäten setzen?

Mehr so Scheinwerferlicht auf Dinge richten, die nicht so akut und jetzt dringend notwendig zu regeln sind, sondern Dinge, die in absehbarer, nächster Zeit von Interesse sind. Die drohen ganz oft in normalen Geschichten unterzugehen. Unser Kunde Wortmann hat mal gesagt: „Ich wünsche unserem ärgsten Konkurrenten zehn Jahre durchgehenden Erfolg.“ Das drückt es so ein bisschen aus. In dem Moment, wo man größer, aber auch genügsamer wird, wo bestimmte Prozedere eingeführt wurden, neigt eine Organisation natürlich immer dazu, sich daran zu halten und diese gutzufinden. Jede.r hat darin ihren/seinen Teil, ihren/seinen Posten. Ich sehe dort meine Aufgabe, neue Themen zu setzen, neue Themen zu finden und ihnen ein Schlaglicht zu geben, obwohl es gerade nicht Tagesordnung ist und auch in dem Moment kein Geschäft bringt. Was nicht bedeutet, dass es nicht in zwei, drei, fünf oder sieben Jahren Geschäft bringen kann.

Deshalb ist meine Rolle phasenweise und natürlich insgesamt so, dass ich immer weniger wichtig für das Exzellenzprodukt der Crossmedia, im konkreten Kern für eine.n einzelne.n Kundin/Kunden, bin, aber für das Produkt Crossmedia als solches schon richtungsweisend bin, um zu sagen: das ist das nächste, was wir machen wollen.

 

Magst du mal für jemanden, die/der die Branche nicht kennt, beschreiben, was Crossmedia macht?

Wir sind eine typische Ausprägung unserer Welt, wo die Dinge in unterschiedliche Arbeitsschritte gepackt werden. Früher waren wir ein Teil einer Kreativagentur, und die/der Kund.in hat gesagt, dass sie/er Werbung platziert wissen möchte, sprich sie/er wollte irgendeine.n Kreative.n haben, die/der sagt, was gesagt werden soll, irgendeine.n Designer.in, die/der sagt, wie das aussehen soll und dass die Werbung gesehen werden soll. Damit war ein.e Mediaplaner.in gemeint, die/der sagt, in welcher Lautstärke, auf welchen Kanälen, in welcher Dosis die Werbebotschaft an die richtigen Zielgruppen kommt. Der Job, den wir heute machen, ist, dass wir die Inhalte, die von Kund.innen/von der Kreativagentur ersonnen und ausgearbeitet wurden, auf möglichst effektive und effiziente Art und Weise an die richtigen Leute bringen, damit sie sich im Zweifel am Point of Sale dafür entscheiden, dieses Produkt zu kaufen und nicht jenes.

 

Heute seid ihr um die 300 Leute, aufgebaut über 20 Jahre hinweg und unabhängig, also nicht Teil eines großen Netzwerks.

Ja, wobei die Unabhängigkeit für uns einen größeren Rahmen einnimmt. Die eine Unabhängigkeit ist die, dass wir uns nur Kund.innen bezahlen lassen. Bei uns in der Branche hat es durchaus Phasen gegeben und gibt es auch heute noch, in denen maßgeblich die Agentur, sprich die/der Berater.in, die/der sagt, wohin das Geld fließt, von Medien bzw. von Vermarktern bezahlt wird. Das ist ähnlich dem Bankengewerbe, wo man eine Altersvorsorge empfohlen bekommt und im Nachhinein erfährt, dass diese Altersvorsorge nicht unbedingt für eine.n selbst die bessere ist, aber die gute Provision an den Beratenden zahlt. Das ist ein Phänomen der Branche. Wir haben uns frühzeitig, nicht moralisch, über den Wettbewerb erhoben, aber wir waren einfach zu klein und uns wollte niemand bestechen. Daher haben wir das umgedreht und gesagt, wenn uns niemand bestechen will, dann machen wir das zum Asset in der Ansprache, also Marketing in der eigenen Sache. Wir lassen uns nur von Kund.innen bezahlen. Dass das hinterher einen so wichtigen Aspekt eingenommen hat, war damals vielleicht erahnbar, aber noch nicht klar.

 

«Denn ich wollte niemals in die Abhängigkeit von einer Kundin/einem Kunden geraten.»

 

Der zweite Punkt, der mir wichtig ist und von manchen Kund.innen nicht gerne gehört wird, ist, dass wir unabhängig von Kund.innen sind. Als wir damals Hornbach gewannen und unseren ersten großen Wachstumsschritt machten, da dieser Kunde so groß wie der Rest unserer Kundschaft zusammen war, stand nicht nur die Feier, das wir diesen Kunden gewonnen hatten, im Mittelpunkt, sondern ich gab sofort die Losung aus, dass wir für jede Unit ihren Hornbach erkämpfen müssen. Denn ich wollte niemals in die Abhängigkeit von einer Kundin/einem Kunden geraten.

Drittens denke ich, dass wir unabhängig von vielen Zwängen sind, die es in größeren Einheiten/Networks gibt. Ob wir eine.n Kund.in übernehmen, entscheidet niemand in Paris, London oder sonstwo, sondern wir sagen, dass wir diese.n Kund.in wollen und sie/er will uns. Oder wir wollen nicht. Dann ist es auch gut. Es ist direkter.

 

Ihr habt mit wesentlich weniger Leuten begonnen und seid jetzt bei um die 300. Wie würdest du dein Verständnis von Führung oder Leadership beschreiben in der Retrospektive und zum jetzigen Zeitpunkt?

Da bin ich ein Realromantiker. Ich denke, das ist ein gutes Wort.

Ja, manchmal habe ich die Sehnsucht nach einem ganz kleinen Verein mit 15 Leuten. Man macht sein Ding, und alles ist ganz toll. Wenn ich mich aber an die Anfangsjahre erinnere, dann waren in dieser Anfangszeit viel weniger Freund.innen, viel weniger sehr, sehr gute Leute mit an Bord als heute. Mit dem Wachstum ist eine Bandbreite von Leuten dazugekommen, die alle etwas Unterschiedliches können. Menschen, die man bei unterschiedlichen Sachen zu unterschiedlichen Dingen befragen kann und die eine Meinung haben und nicht eine.r von 15, 20 oder 30 sind, sondern von 300. In diesem Kreis bewegen sich sehr, sehr viele, die richtig gut sind. Diese Bandbreite ist nicht vorhanden, wenn man mit 15 Menschen antritt.

«Es ist wie es ist. Als Realromantiker suche ich das Gute darin und trauere nicht dem hinterher, was ich nicht mehr haben kann.»

 

Der zweite Punkt ist, und hier geht es nochmals um Unabhängigkeit, dass eine Zusage, gefolgt von einer Absage einer/eines Kund.in die Mannschaft zu Beginn sofort um die Hälfte reduziert hätte. Man hätte quasi alles verloren. Dieses Gefühl von Sicherheit habe ich heute viel stärker als ich es hatte, als wir noch kleiner waren. Dazu kommt, und hier kommt der Realromantikeraspekt hinzu, dass ich es jetzt auch nicht mehr ändern kann. Es ist wie es ist. Als Realromantiker suche ich das Gute darin und trauere nicht dem hinterher, was ich nicht mehr haben kann. Die Vorteile überwiegen, denn wir haben für die einzelnen Leute mehr Chancen, sich zu entwickeln, während wir als kleine Crossmedia damals sagen mussten: „Oh, du hast eine Media-Allergie, du kannst das nicht mehr? Dann musst du dir eine.n neue.n Arbeitgeber.in suchen.“ Wenn heute jemand sagt, sie/er könne das Mediageschäft nicht mehr leiden, dann würden wir sie/ihn fragen, was sie/er denn leiden könne. Was ist dein Asset, was willst du? Und dann kommen plötzlich Dinge raus, bei denen wir entscheiden können, ob das ein neues Modell sein könnte, das in die Zukunft passt und ob wir das gemeinsam machen wollen.

 

Du hast in diesen Jahren das Unternehmen sehr stark geprägt, was ist dir persönlich wichtig, wenn es um die Zusammenarbeit deiner Mitarbeitenden geht?

Ganz, ganz wichtig ist eine Schwächentoleranz. Vom Grundsatz her mag ich keine Menschen, die sagen, dass das Glas halb leer ist. Ich will, dass die Leute die Stärken aneinander erkennen, diese nach vorne pushen und über die Schwächen hinwegsehen. Das hat viel mit Toleranz zu tun. Natürlich gibt es da auch eine Schmerzgrenze. Es gibt viele Leute in der Kund.innenberatung, die die Kundschaft bespaßen, substanziell jedoch nichts leisten. Die keine Strategie schreiben können, was essenzieller Bestandteil unseres Jobs ist. Dafür habe ich keine Schwächentoleranz. Wenn ich aber von jemandem weiß, dass sie/er die/den Kund.in in der Strategie beraten kann und wirklich gut ist, vielleicht aber die Schwäche hat, dass sie/er keinen Satz geradeaus formulieren oder nicht vor mehr als drei Menschen sprechen kann, dann ist es kein Grund, dieser Person den Job wegzunehmen. Es ist nur ein Grund zu fragen, ob ich helfen kann, diese Schwäche zu überwinden oder was wir tun können, um diese Schwäche nicht erlebbar zu machen.

Das ist ein großer Punkt in der Crossmedia, bei dem ich ungern einfache Lösungen präferiere. Diese Denke hat sich sehr weit durchgesetzt.

Außerdem würde ich sagen, dass ich immer offen für etwas Neues bin, sodass wir Themen eine Chance geben. Wobei es viel Arbeit bedarf, um diesem Neuen eine Entwicklungschance zu geben. Ganz oft sage ich neuen Leuten in Perspektivgesprächen, dass man ihnen auch etwas zumutet. Dass sie zwar eine gute Idee haben und auch gut passen könnten, sie aber auch anerkennen müssen, dass wir als Team anders funktionieren und agieren als Unternehmen. Von daher sind wir nicht bei der schnellen Lösung, sondern durchaus bei langwierigen Überlegungen. Das Positive daran, wenn die Überlegungen abgeschlossen sind, ist, dass sie dann auch gut sind. Und so richtig gut, dass niemand mehr fragt, ob wir das brauchen oder nicht. Dafür gibt es innerhalb der Crossmedia sehr viele Beispiele.

Nach außen hin ist das nicht ganz einfach zu vertreten, gerade bei Leuten, die von draußen draufgucken und reinkommen wollen, aber ich bin da sehr zufrieden mit uns. Es ist immer ein Auseinandersetzen damit, Leute mitzunehmen, dafür zu sorgen, dass sie verstehen, warum wir bestimmte Prioritäten setzen und intern dafür zu sorgen, dass das angenommen wird. Das hat wenig mit Druck zu tun, sondern mit Gestaltungswillen, Wachsenlassen und kleine Nuancen zu prägen.

 

Das führt sicherlich dazu, dass manche ungeduldig werden, oder?

Absolut. Aber tatsächlich bin ich in den letzten Tagen immer wieder darin bestätigt worden, den Leuten das zuzumuten. Selbst die Zumutung für jemanden, der gerade glaubt, dass er Geschäftsführer ist und diesen Job auch ausfüllt, ihm aber trotzdem erst mal zu sagen, dass er auf Halten machen soll, weil er nicht der Geschäftsführer ist, sondern erst einmal der vertretende Geschäftsführer. Dann schauen wir mal, wie das so weiterläuft. Das ist eine Zumutung, ein ganz langer Prozess bei uns. Die positiven Beispiele zeigen jedoch, dass diese Zumutung auch im Sinne der/des Einzelnen genau richtig war. Dass sie erkannt haben, dass es nicht ein Titel ist, sondern eine Berufung. Etwas, wo sie ein ganz anderes Commitment abgeben und plötzlich nicht mehr sagen, dass das der Job von XY ist, sondern dastehen und sagen: „Das ist jetzt mein Job!“

 

Wenn ich bei euch über den Hof ginge und jemanden fragen würde, die/der seit ungefähr einem Dreivierteljahr und jemanden, die/der seit fast 20 Jahren dabei ist, wie würden die dich beschreiben?

Puh, das weiß ich nicht. Kann ich bitte einen Joker haben? Lachen.

Ich glaube, das kommt ganz drauf an. Die einen lernen mich nur bei Vollversammlungen kennen, in denen ich ihnen etwas über die Entwicklung des Geschäftes erzähle, wo wir gerade stehen und was wir vorhaben. Da werden sie eher positiv darüber berichten, dass ich weiß, wie es um den Laden aussieht. Jemand, die/der 20 Jahre dabei ist, wird vermutlich darüber sprechen, dass es etwas anderes als woanders ist, hier zu sein, in der Führung zu sein oder mit im Team zu arbeiten. Das sind vielleicht auch Leute, die weggegangen sind und zurückkamen. Jene, die aus den richtigen Gründen zurückkommen und festgestellt haben, dass das, was wir propagieren und wofür wir stehen, tatsächlich so ist und sie es erst durch ihr Ausscheiden erfahren hatten. Ganz oft fangen bei uns Leute als Trainees an und wollen nach fünf oder sechs Jahren etwas anderes sehen. Weil sie ja nicht wissen, ob es stimmt, wenn wir sagen, dass wir so toll sind, denn sie haben keine Vergleichsmöglichkeiten. Bei diesen Abgängen haben wir sone und solche. Die einen kommen wieder, andere sagen: „Ja, war schon anders, aber woanders konnte ich schneller Karriere machen.“

 

Was ist denn so anders bei euch?

Ich denke, ich kann das gut an einem Beispiel wiedergeben. Wir hatten vor drei Wochen einen sehr, sehr großen Pitch (eine Ausschreibung, für die die/der Kund.in ihre/seine Aufgabenstellung schickt, das Team einlädt und es in einen Wettbewerb mit anderen Agenturen tritt). Für diesen Pitch brauchten wir einen zusätzlichen, erfahrenen Kopf und hatten jemanden von einer anderen Agentur geholt, der gerade frei war und über 20 Jahre Mediaerfahrung verfügte. Er hatte nur die Aufgabe, dabei zu sein, Fragen zu stellen und zu schauen, ob es ginge. Das Feedbackgespräch war dann erstaunlich, weil er aus einem sehr strukturieren Laden kommt. Dort wird die Kontrolle dadurch gewonnen, dass Listen abgearbeitet werden. Wer macht wann was bis wann? Du kannst dann Rügen erteilen und sagen, dass das nicht gut war. So funktioniert es bei uns nicht.

Montag war die Präsentation, am Donnerstag davor sagte diese Person, dass sie nicht habe sehen können, dass daraus ein Auftritt wird, wie er geworden ist. Er dachte, wir würden das ganze Wochenende arbeiten und in heillosem Chaos verbringen müssen. Doch dadurch, dass wir uns jeden Tag getroffen und gesprochen hatten, wusste intuitiv jede.r, dass am Freitagabend alles klar war und nur der Sonntag für drei, vier Stunden genutzt werden musste, um alles in eine Präsentation zu packen.

Das beschreibt, glaube ich, ganz gut, dass wir ungern jemandem sagen, was ihr oder sein Job ist. Wir leiten die Person dahin, dass sie sieht, was ihr Job ist, sodass sie erkennt, wie viel Spaß sie damit hat. Das ist etwas, das dazu führt, dass bestimmte Leute vielleicht sagen, die Crossmedia hätte eine Führungsschwäche, weil nie genau gesagt wird, was zu tun ist. Ich aber lebe das als Prinzip und sage den Leuten, dass sie sehen müssen, was Ambach ist. Das Auge des Bauern macht die Kühe fett, ist ein Leitspruch. Kümmere dich, es ist dein.e Kund.in! Es gibt niemanden, dem du sagen kannst, dass sie/er das für dich regeln soll.

Das merkt man auch beim neuen Londoner Büro. Die sind gewohnt, Dinge eskalieren zu lassen. Das ist eine probate Praxis. Man hat das Gefühl, dass man argumentativ gegen die/den vermeintlich Unterstellten nicht ankommt, also geht man mit den schwachen Argumenten zur/m stärkeren Vorgesetzten und erhält das, was man will. Das funktioniert bei uns nicht. Wenn die/der hierarchisch Unterstellte die besten Argumente hat, zählen die. Mir kann von daher auch ein Trainee sagen, dass mein Gedanke gerade absoluter Bullshit ist, und das ist vollkommen okay. Das ist der Reiz einer sehr durchmischten Truppe und unterschiedlichen Leuten am Tisch. Es geht immer um die Lösung für die/den Kund.in, und die kriegen wir so am besten hin. Nicht nach Stereotypen, Abarbeiten von Listen. Wir gehen Umwege, machen Sidesteps, und es stecken Menschen ihre Köpfe zusammen, die eigentlich gar nicht in den Prozess eingeplant waren. Das versuche ich zu kultivieren.

 

Wie gut gelingt dir das?

 

«Wir müssen die Leute wachrütteln und dafür sorgen, dass sie nicht nur die Lösung produzieren, die im Briefing steht.»

 

Ich glaube, gerade im Moment sehr gut. Es gab jedoch auch Phasen, wo dem nicht so war. Da gab es zu viele stereotype Lösungen. Alles richtig, aber alles richtig ist so oft auch falsch. Dann werden Dinge zu gleichförmig und helfen der/dem Kund.in nicht mehr. Ich habe meinen Mitarbeitenden gesagt, dass das nicht vom Himmel fällt und wir uns darum kümmern müssen. Wir müssen die Leute wachrütteln und dafür sorgen, dass sie nicht nur die Lösung produzieren, die im Briefing steht. Stattdessen müssen sie dafür sorgen, dass sie sich, uns und der Kundschaft den Freiraum geben zu sagen, dass im Briefing vielleicht das Eine steht, aber doch eventuell das Andere gemeint ist. Zwischen den Zeilen zu lesen, ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt.

 

Wie kann man das jemandem beibringen?

Sprechen. Vorleben. Ganz früh nicht in closed circles zu sitzen, sondern bei Kund.innenaufgaben unterschiedlichste Leute mit in die Lösung der Aufgabe einzubeziehen. Nicht nach Standard vorgehen. Der Ruf nach Standard ist immer wieder total ausgeprägt, aber ich habe eine Standardallergie.

Generell bin ich nicht gegen Standards. Es gibt schließlich gute Gründe, warum es einen Innensechskant gibt und warum er so aussieht wie er aussieht. Das ist richtig, und das gibt es auch zu Hauf in der Crossmedia, beispielsweise beim Finanzflussprozedere. Doch mit dem Standard kommt man nie zu überraschenden, neuen Ergebnissen, weil sie immer auf der Recherche der Vergangenheit basieren.

 

«Den Menschen ist es nicht egal, was sie kaufen. Sie lassen sich durchaus gerne von einer Marke umgarnen.»

 

Ich sage das deshalb noch mal, weil ich ein Stück weit gerade die Renaissance meiner eigenen Person erlebe. Die letzten fünf Jahre waren sehr davon geprägt, dass wir eine Transformation hinlegen mussten. Wir waren als Digitalagentur gestartet, hatten aber viele klassische Medien. Als Agentur ist man schnell dabei, die alten Medien zu bewahren. In den letzten fünf Jahren aber war sehr viel Umbruch, weil sehr viel über datengetriebene Analyse funktioniert. Sehr viel über Beforschung. Dinge, die alle sehr viel mit Google, Facebook, Automatismen zu tun haben. Natürlich braucht es dafür Standards, es muss nach vorne gehen. Ich bin jedoch dankbar für die neuen Studien, die zeigen, dass der differenzierende Faktor für eine Marke, wenn alle nur noch einen Standard bearbeiten, verloren geht. An dieses Grundprinzip glaube ich. Als Marke hat man einen entscheidenden Einfluss auf den Kaufakt. Den Menschen ist es nicht egal, was sie kaufen. Sie lassen sich durchaus gerne von einer Marke umgarnen. Dieser Blickwinkel ist in den letzten Jahren zugunsten der Transformation sehr oft aus den Augen gelassen worden, erfährt jetzt aber eine neue Aufmerksamkeit. Da passen wir als Crossmedia und ich als Markus Biermann sehr gut rein. Denn das haben wir immer gemacht. Wir wollten aufmerksamkeitsstarke Kommunikation für Marken erzeugen. Die erzeuge ich nicht nur mit Standards.

 

Ein Unternehmen aufzubauen und zu führen. Was gelingt dir dabei besonders gut, weil du Markus Biermann bist?

Da komme ich wieder zum Anfang. Die Leidenschaft dafür, mich mit unterschiedlichen Meinungen auseinanderzusetzen. Zu überzeugen und mich überzeugen zu lassen, ins Pingpong zu gehen, was die beste Lösung ist. Das, glaube ich, ist schon sehr prägend. So schätze ich Mitarbeitende, Freund.innen im Unternehmen, die eine ganz starke Meinung haben und nach diesem Prozess das Gegenteil vertreten. Dafür will ich den Raum bieten.

 

Und was gelingt dir, weil du Markus Biermann bist, nicht so gut?

Ganz vieles gelingt mir nicht so gut. Wenn ich alleine wäre, wäre das ein Laden von 12 Leuten. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung von Digital oder Struktur. Da sind viele Dinge, die ich nicht kann und die bei mir in falschen Händen wären. Umso dankbarer bin ich, dass ich über die Zeit Leute gefunden habe, die das, was mir fehlt oder ich nicht kann, erfüllen und ihren Spaß daran haben.

 

Was war für dich in den über 20 Jahren Crossmedia die größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung bei mir war im Jahr 2015. Normalerweise waren wir sehr auf Wachstum gepolt. Gar nicht mal aus Wachstumsgründen, sondern weil wir den Leuten das Feld bieten wollten, sich zu entwickeln, was dann zu Wachstum führte. In 2015 hatten wir zum ersten Mal viele Verteidigungen. Normalerweise kommt ein.e Kund.in zu uns, wird gut betreut und dann läuft es. Manchmal gehen Kund.innen auch wieder, das ist dann doof, aber nicht zu ändern. Aber in 2015 waren fünf oder sieben Top-Kund.innen der Crossmedia auf einen Schlag in einer Ausschreibung, und wir waren überall Verteidigende. Die Verteidiger.innenrolle passt nicht so gut zu uns. Man muss sich rechtfertigen, Dinge neu machen, obwohl man überzeugt ist, dass das Alte das richtig ist. Das war schon schwierig. In dieser Geschichte war einmal eine Herausforderung für mich zu akzeptieren, dass es Kund.innen gibt, deren Weg mit uns zu Ende ist, vor allem, wenn es Herzkund.innen sind. Außerdem fiel es mir schwer, das umzudrehen. Okay, es scheint ein Trend der Zeit zu sein, dass Kund.innen illoyaler werden. Was mir wahnsinnig geholfen hat, war ein Moment zu Hause, mit Martin an der Tafel, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel, dass wir zwei Prozent Marktanteil haben und wenn alle Kund.innen illoyaler werden, haben wir bei 98 Prozent mehr Chancen als wir früher hatten. Zu sehen, dass die Welt mir nicht nur ein halb leeres Glas, sondern ein halb volles bietet, war 2015 eine Herausforderung, die mich einiges gekostet hat.

Aber seitdem geht es besser.

 

Wo holst du dir Inspiration für das, was du jeden Tag tust?

Durch vielleicht alberne Dinge, die für mich jedoch eine Herausforderung sind. Ich bringe mich zum Beispiel in Situationen, die mir eigentlich gar nicht liegen und die ich nicht so schätze. Und wo ich dann erkenne, dass es gar nicht so wehgetan hat.

 

Also immer einen Schritt raus aus der Komfortzone?

Das klingt sehr eloquent und sehr modern. Aber ja, ein bisschen herantasten und einen Schritt weitergehen als man eigentlich den Mut verspürt, es zu tun.

 

Schaffst du dir solche Gelegenheiten oder kommen die einfach?

Ich ziehe die an, glaube ich. Sie kommen zu mir.

 

Wenn du dir ganz frei jemanden aussuchen könntest, mit der/dem du über Leadership und Führung sprechen könntest (lebendig oder nicht, berühmt oder nicht), wer wäre das?

Herman van Veen, Willy Brandt, Giscard d'Estaing.

 

«Für mich ist Europa das größte Modell, das wir erzeugt haben, und ich kann die ganzen Populist.innen und Hassprediger.innen auf den Tod nicht ausstehen.»

 

Was sind die Gründe dafür, bei denen, die du jetzt gerade so ganz spontan genannt hast?

Naja, wir haben gestern den BREXIT (die Wahl) erlebt. Das ist für mich eine totale Katastrophe. Ich bin kein Nachkriegskind, aber ich bin noch unter die Bettdecke meines größeren Bruders gekrabbelt, weil ich Angst hatte, dass der Russe vor der Haustür steht und der Krieg beginnt. Ein Kind des kalten Krieges.

Für mich ist Europa das größte Modell, das wir erzeugt haben, und ich kann die ganzen Populist.innen und Hassprediger.innen auf den Tod nicht ausstehen. Als die Abstimmung damals zum BREXIT stattfand, fühlte ich ein Unverständnis sondergleichen. Das war eine Situation, in der ich dachte, dass das einfach nicht wahr sein kann. Man kann gegen die EU bestimmte Vorbehalte haben und bestimmte Dinge ändern wollen, aber diesem größten Friedensprozess, den wir seit Menschengedenken haben, so in den Rücken zu fallen, ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit.

Von daher würde ich gerne mit Herman van Veen und Willy Brandt darüber sprechen, wie so etwas zu erklären ist.

 

Du leitest selbst ein Unternehmen. Wie ist deine Vision, wie werden Unternehmen in Zukunft geführt?

Vielleicht ist es eine Schwäche von mir, dass ich für mich immer gesagt habe, dass ich für uns als Unternehmen Lösungen finde und nicht für den Markt. Das bedeutet, dass ich mich ein Stück weit aus der Verantwortung herausgenommen habe, was das generell heißt. Dafür habe ich zu wenig Insides in andere, große Unternehmen und kann dazu nichts sagen. Ich bin stolz auf den Weg, den wir als Crossmedia gegangen sind und würde immer sagen, dass das genau der richtige Weg ist und war, aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass dies „das neue Verständnis von …“ sei. In vielen Dingen sind wir heute weiter als das, was man in der Fachpresse zu dem Thema liest, weiter als alle Unternehmen, die es früher gegeben hat. Wir haben früh Akzente gesetzt, die heute unter den Begriff „New work“ platziert werden, aber das ist im Experimentalbaukasten Crossmedia passiert und nicht, um daraus eine allgemeingültige Formel zu machen. Insofern fällt es mir schwer zu sagen, wie geführt werden muss.

 

«Wenn wir sie nicht qualifizieren und nicht dazu bringen, Freude an dem zu haben, was sie tun und es ihnen nicht ermöglichen, ein gutes Einkommen zu verdienen, funktioniert die gesamte Gesellschaft nicht mehr.»

 

Ich glaube, dass wir vor wirklich großen Herausforderungen stehen. Zurzeit ist die große Diskussion „Purpose“, und natürlich schreien auch bei uns ganz viele nach Purpose. Doch ich warne davor, weil es heute schon für mich ein Greenwashingaspekt ist, dass Leute von sich aus behaupten, sie hätten einen Purpose oder bieten ihren Mitarbeitenden einen. Auf den Zug würde ich ungern aufspringen. Ich glaube, dass das, was im Moment zu Recht diskutiert wird, eine gesellschaftliche Herausforderung ist, wofür wir nicht nur keine Lösung, sondern noch nicht einmal die Plattform haben, um Lösungen zu diskutieren. Wenn ich mir Diskussionen um Grundeinkommen anschaue, bin ich auf der einen Seite auch so, dass ich sage „wer nicht arbeitet, kann kein Geld verdienen“, das ist irgendwie komisch. Wenn wir jedoch auf der anderen Seite keine Lösung dafür haben, dass wir in der Zukunft andere Jobs brauchen, dass wir einen wahnsinnigen Qualifizierungsbedarf haben, dürfen wir keinen einzelnen Erwachsenen auf der Straße lassen. Wir werden intelligente Leute brauchen. Wir brauchen viele Menschen, viele Menschen in unterschiedlichen Funktionen, und was da an Nicht-Lösung läuft, ist in meinen Augen beschämend. Leute, die als Obdachlose ihr Dasein fristen, das nicht menschenwürdig ist. Langzeitarbeitslose, von denen wir noch zu viele haben. Dass da nichts gelingen kann oder gelingt, ist für mich das Problem. Das ist nicht nur ein Problem, weil wir heute das Problem haben, sondern weil wir in Zukunft verstärkt damit weitere Probleme erzeugen.

Wir sprechen beispielsweise in unserem Bereich von Automatisierung. Bislang sind wir immer weiter gewachsen, also ist die Automatisierung erst einmal ein Thema, bei dem vermeintlich Jobs wegfallen. Doch gleichzeitig haben wir den Effekt, dass wir, um dahin zu kommen, noch ganz viele Leute benötigen. Wir werden immer Menschen für bestimmte Tätigkeiten und bestimmte Bereiche brauchen. Wenn wir sie nicht qualifizieren und nicht dazu bringen, Freude an dem zu haben, was sie tun und es ihnen nicht ermöglichen, ein gutes Einkommen zu verdienen, funktioniert die gesamte Gesellschaft nicht mehr. Das ist etwas, wo es keine Diskussionsplattform gibt. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Diskussion, die in Deutschland irgendwie am Rande geführt wird, aber eher sofort wieder in Schubladen kommt und direkt das „Nein, wer nicht arbeitet, darf nichts verdienen“ hervorruft. Aber tatsächlich ist es ein Problem, das wir nicht im Ansatz diskutiert haben. Wir müssen es aber lösen. Denn wir können nicht jeder/m alles versprechen, da wir im internationalen Wettbewerb sind und der Wirtschaftsstandort Deutschland davon abhängig ist, dass wir unsere Leistungen im globalen Wettbewerb an den Mann bzw. die Frau bringen. Dafür braucht es qualifizierte Menschen, neue Lösungen, Innovationen, Engagement usw. Das geht nicht immer nur damit, dass wir jeder/m alles liefern. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch dafür sorgen, dass wir es niemandem zumuten können, drei oder vier Jobs machen zu müssen, um die Wohnung bezahlen zu können. Da finde ich die angestoßene Diskussion sehr richtig. Es gibt noch keine Plattform, ich wüsste aber auch nicht, wie sie aussehen sollte. Ich warne jedoch davor, sich heute einfach mit einem Purpose-Greenwashing zu begnügen, denn das ist nicht die Lösung. Man wird für die Zukunft Dinge angehen müssen, die nicht leicht von der Hand gehen. Da werden wir noch viel Umbruch erleben.

 

Das ist spannend, denn Purpose-Diskussionen habe ich auch schon immer sehr skeptisch gesehen, weil ich denke, dass jede.r auch selbst für den Sinn in ihrer/seiner Arbeit verantwortlich ist bzw. jede.r ihren/seinen individuellen Sinn hat. Das ist nichts, was das Unternehmen entscheidet. Doch so wie du es gerade beschrieben hast, habe ich es noch nie betrachtet. Vielleicht ist es eine Scheindebatte, die davon ablenkt, sich um Themen zu kümmern, die vielleicht etwas härtere Konsequenzen oder einen Umbruch mit sich bringen.

Genauso finde ich es in der Diskussion mit jüngeren Mitarbeitenden. Es ist durchaus zumutbar, bestimmte Anforderungen zu stellen. Das kommt in der heutigen Diskussion, wenn man mal so querbeet liest, gar nicht vor. Es ist nur die Rede davon, dass man alles liefern muss, bestimmte Menschen dann gut ausgebildet sind und man was zurückbekommt.

 

Aber es geht ja in beide Richtungen.

Genau. Beim Thema Flexibilisierung der Arbeitszeiten habe ich mich zum Beispiel vor unsere Leute gestellt und gesagt, dass wir seit Jahren ganz, ganz unterschiedliche Modelle haben, da wir auch einen hohen Anteil an Müttern und Vätern haben, die nur vier Tage arbeiten. Wir haben für jede.n jede erdenkliche Lösung. Und wir bringen auch Lösungen für Menschen, die erst morgen anfangen wollen. Wenn jemand sagt, sie/er könne nur dann und dann, versuchen wir Lösungen zu finden oder wir sagen, dass wir das nicht können. Dann geht es auch nicht.

 

«Es muss eine Balance gefunden werden.»

 

Aber der Wunsch von jemandem, die/der sagt, sie/er wolle etwas im Betrieb lernen, etwas werden, etwas machen, sodass sie/er von Anfang an die gleichen Rechte hat, ist für mich kaum zu ertragen. So habe ich mich vor die Führungsmannschaft gestellt und gesagt, dass wir alles flexibilisieren können, wenn sie mir garantieren, dass nicht sie, die Leistungstragenden der Vergangenheit und der Zukunft, dafür mehr arbeiten müssen und das jemand, die/der noch nichts geleistet hat, weniger arbeiten muss. Es muss eine Balance gefunden werden.

Genau dieser Punkt innerhalb der ganzen Work-Life-Balance-Diskussion ist plötzlich eben nicht die Work-Life-Balance, sondern eine Life-Balance. Aber wir sind nicht auf einer Insel. Für uns mag es die letzten Jahre sehr gut gelaufen sein, aber solange wir in diesem eher kapitalistischen System arbeiten, haben wir eine Leistung anzubieten, die von anderen bezahlt werden will. Das muss sichergestellt sein. Viele der Diskussionen sind mir zu niedlich. Wir sind im Wettbewerb, und du als Person musst dich ebenfalls in den Wettbewerb trauen.

 

Ich finde das insbesondere spannend, weil ihr als Unternehmen ja nicht unbedingt die „harte Seite“ des Wettbewerbs repräsentiert, so wie sie in eurer Branche auch sein kann. Aber es bleibt ein Wettbewerb.

Ja, es bleibt ein Wettbewerb, und ich muss gute Gründe aufbauen, warum ein.e Kund.in sagt, dass sie/er das Geld lieber bei Crossmedia ausgibt als bei jemand anderem. Das ist kein einfacher Job.

Es macht auch Spaß, und es ist auch gut, aber das muss als Balance funktionieren.

 

Quasi als Abschlussfrage: was ist es, was dir persönlich immer wieder deine Motivation gibt, deinen Job weiterzumachen?

 

«Worin ich in der langen Zeit immer wieder bestätigt wurde, ist, dass es immer wieder neue Leute gibt, die etwas leisten und erreichen wollen und mit denen man das dann kreieren kann.»

 

Ich habe mich gerade bei meinen Mitarbeitenden bedankt, wie einfach es heute ist, die Crossmedia nach außen zu vertreten. Das basiert auf guter Leistung und wird somit zum Selbstläufer. Die Leute sind ambitioniert, sie wollen was schaffen und schaffen es, und das wird von außen gesehen. Das macht mich stolz und freut mich. Worin ich in der langen Zeit immer wieder bestätigt wurde, ist, dass es immer wieder neue Leute gibt, die etwas leisten und erreichen wollen und mit denen man das dann kreieren kann. Das macht einfach Spaß. Die Leute wollen was machen und machen es auch. Das kommt nicht daher, dass ich einer Person sage, was sie zu tun hat, sondern weil ich ihr den Freiraum gebe, darüber nachzudenken, was sie will und was für das Unternehmen gut ist. Und dann läuft es.

 

Ein ganz wunderbares Schlusswort. Ich danke dir für das Gespräch!

 

Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://itsaboutleadership.podigee.io/.

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