It‘s about Leadership

Podcast „It’s about Leadership“ - Folge 11

16. April 2020

Mit wem sprechen wir in dieser Folge?

Thomas Dugaro.

 

Aus welchem Bereich kommt unser.e Gesprächspartner.in?

In unserer aktuellen Folge 11 sprechen wir mit Thomas Dugaro. Thomas ist Leiter Collaboration & Project Management innerhalb des Bereiches IT bei Gruner & Jahr. Dieses Gespräch wurde vor Corona aufgezeichnet.

In Folge 11 sprechen wir darüber:

  • Wie man eine Führungsrolle auf eine bestimmte Art und Weise versucht zu leben, ohne dass ein, wie Thomas es sagt, genialische:r Entscheider:in diesen Prozess entscheidet. Sondern, dass mit dem Team zusammen dieser Prozess gestaltet wird.
  • Was das auf der einen Seite für das Team bedeutet und auf der anderen Seite für eine.n selbst in der Führungsrolle.
  • Wie man mit diesen Spannungsfeldern umgeht, aber auch mit den eigenen Unsicherheiten, die vielleicht dadurch entstehen und die Erwartungshaltung, die von außen auf einen zukommt.

Wir schauen darauf:

  • Wie hilfreich es sein kann, wenn man selbst gar nicht der Experte ist.
  • Was der Unterschied zwischen Nötigung und Zusammenarbeit ist.
  • Wie Gruner & Jahr das Thema Veränderung gerade angeht.
  • Das Projekt Elbaufwärts .

 

Schön, dass ich hier sein darf. Danke, Thomas. Voll lustig, wenn man sich das erste Mal in echt sieht, sich aber gefühlt schon total gut kennt. Wir haben schon mal telefoniert und ein bisschen darüber gesprochen, was dich beschäftigt und bewegt, aber das setzen wir jetzt auf null.

Wo kommst du heute Morgen her?

Heute Morgen komme ich ausnahmsweise ganz normal von zu Hause, habe schon eine kleine Hunderunde gemacht und mich dann aufs Fahrrad gesetzt, um zur Arbeit zu kommen. Dann war ich schon ganz kurz in unserer mittwöchentlichen Elbaufwärts-Runde, wo wir über neues Arbeiten, neue Technologie und neue Umgebung bei Gruner & Jahr reden. Danach habe ich mich mental auf unser Gespräch vorbereitet.

 

Sehr schön! Das heißt, dass du mit deinen Gedanken voll da bist. Erzähl doch mal, wer du bist und was dich ausmacht.

Ich bin Thomas Dugaro. Ich bin erschreckenderweise schon knapp über 20 Jahre bei Gruner & Jahr, habe hier mal als Trainee in der IT angefangen und bin seit der ganzen Zeit schon in der IT. Dort habe ich immer sehr schöne, unterschiedliche Aufgaben bekommen, Sachen, in denen ich mich entwickeln konnte, Sachen, die mir Spaß gemacht haben. Seit drei, vier Jahren bin ich einer der Gruppenleiter in der IT. Bei Gruner & Jahr arbeiten etwa 200 Leute in der IT, und ich bin verantwortlich für die Gruppe Collaboration & Project Management. Was es damit auf sich hat, darüber können wir ja vielleicht später noch reden, wenn das relevant wird. Ansonsten, was mindestens genauso wichtig ist, bin ich verheiratet, habe zwei Töchter und, wie ich bereits erwähnt habe, einen Hund. Ich bin totaler Musikfanatiker, versuche, so viel wie möglich von aktueller Musik mitzukriegen, gehe so oft wie möglich auf Konzerte, davon kann ich gar nicht genug kriegen. Heute Abend ist noch das Steckenpferd 2 dran: das Städtebauseminar in Hamburg. Das ist noch so ein anderes Thema. Würde ich noch einmal neu geboren, würde ich Stadtentwickler. Aber so ist es auch okay. Dann gehe ich da halt hin, informiere mich ein bisschen darüber und tausche mich aus.

 

Und lernst dadurch etwas über Stadtentwicklung und Städteplanung. Spannend und ein sehr ungewöhnliches Hobby, oder?

Aus meiner Perspektive ist das schon sehr speziell, wenn ich sehe, was da traditionell für Leute zu diesem Städtebauseminar kommen. Das sind fast alles Landschaftsplaner:innen, Architekt:innen, Stadtplaner:innen, Verkehrsplaner:innen, ehemalige oder aktuelle. Man muss auch aufpassen, dass man als Normalbürger oder ITler überhaupt irgendetwas versteht. Aber es ist immer total inspirierend. Ich gehe da immer raus und denke: Wow, bewusstseinserweiternd. Andere Themen als sonst immer. Das ist schon sehr gut.

 

Das stimmt. Andere Gedanken und andere Zusammenhänge, ne?

Ja, genau. Ich merke tatsächlich immer, wenn ich da rausgehe, dass ich auf dem Nachhauseweg gute Ideen habe, die gar nichts mit Stadtplanung zu tun haben. Das muss irgendwie daran liegen, dass gerade mal kurz gegen mein Gehirn getreten wurde und ich ganz andere Sachen gehört und darüber nachgedacht habe. Vielleicht kommt man dann auch im Zusammenhang mit der eigenen Arbeit auf ganz andere Gedanken.

 

Das kann ich mir gut vorstellen.

Wie sieht denn deine Rolle heute aus? Du hast gerade schon zwei Dinge erwähnt, die ich spannend finde. Einmal dein Teamname „Collaboration & Project Management“ und das Elbaufwärts-Projekt. Vielleicht kannst du mal versuchen, beides zu beschreiben.

Die Gruppe, für die ich verantwortlich bin, nennt sich Collaboration & Project Management. Darin sind in erster Linie zwei Themen und Menschen beheimatet. Das Eine sind Collaboration Services, alles was zum Zusammenarbeiten an Kommunikation gebraucht wird und bei Grunder & Jahr zum Einsatz kommt. Das hat in letzter Zeit viel mit Office 365 zu tun, aber auch viel darüber hinaus, wie „Was davon können wir gebrauchen? Wie erklären wir es den Leuten?“. Wir machen viel Beratung, um die Leute dazu zu befähigen, ortsunabhängig und systemunabhängig über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinaus zu arbeiten. Das sind die Themen, die uns da beschäftigen. Das andere Team besteht aus Projektmanager:innen, die die etwas größeren und vielleicht komplexeren IT-Projekte, im wahrsten Sinne des Wortes, managen.

 

Was zwei relativ unterschiedlich gelagerte Themen sind, das IT-Thema und das Thema Zusammenarbeit, oder?

Es passt schon sehr gut, weil Projektmanagement, wenn du so willst, nur eine Ausprägung von Zusammenarbeit ist. Was wir da machen, hat auch viel mit der eigenen Produktivität zu tun. Ob ich mich selbst sinnvoll damit auseinandersetze, wie ich mich organisiere, mit Hilfe welcher Methoden und Tools ich das tue. Aber schnell bin ich dann zu zweit, zu dritt, im Team und/oder in einem Projekt, da ist der Übergang fließend, und der Austausch zwischen den beiden Teams ist total hilfreich und fruchtbar. Da kommen Impulse und Fragen, wie „Wir haben immer die und die Herausforderung, habt ihr da nicht etwas für uns?“ oder andersrum „Wäre das nicht etwas für euch?“. Das ist sehr produktiv und funktioniert ganz gut. Aus diesen beiden Teams wird sehr viel aus diesen Domänen, die die Leute haben, beraten. Erfreulicherweise im ganzen Haus. Ich habe auch eine Kollegin, die ist Agile Coach und da in letzter Zeit auch sehr umtriebig, um an verschiedenen Stellen im Haus zu wirken. Aber auf eine etwas andere Art.

 

«Wir versuchen jetzt schon ganz viel herauszufinden, was wir für neue Technologien und wahrscheinlich auch andere Umgebungen brauchen, wenn wir anders arbeiten wollen.»

 

Nochmal anders ist die Arbeit in was wir Elbaufwärts nennen. Das ist sozusagen unser Dach, das wir uns bei Gruner & Jahr gegeben haben, über die drei Säulen Neues Arbeiten, Neue Technologie und Neue Umgebung. Neues Arbeiten, das sind die Kolleg:innen in der Personalabteilung und Mitarbeiter:innenentwicklung. Die geben die ganze Zeit neue Impulse, neue Ideen, wie man anders arbeiten kann, wie man mit weniger Hierarchien arbeiten kann, wie man aus den Silos rauskommen kann, welche Methoden es dafür gibt. Sie schmeißen die ganze Zeit für alle Brainfood in den Raum, wollen agiles Arbeiten im ganzen Unternehmen weiterverbreiten. Eine Säule weiter steht Neue Technologie, wo wir gesagt haben, dass bei dieser neuen Form der Arbeit und Zusammenarbeit die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch ist, dass neue Technologien gebraucht werden. Es macht Sinn, das gemeinsam zu denken. Deswegen wollen wir moderne und innovative Technologielösungen anbieten. Das bin sozusagen ich. Das mache ich, um Gottes willen, nicht alles alleine in diesem Elbaufwärts-Kontext. Am zeitlichen Ende steht dann die Neue Umgebung, weil Gruner & Jahr irgendwann in wenigen Jahren umziehen wird. Wir versuchen jetzt schon ganz viel herauszufinden, was wir für neue Technologien und wahrscheinlich auch andere Umgebungen als einfach nur ein Büro, in dem ein oder zwei Leute sitzen brauchen, wenn wir anders arbeiten wollen. Da probieren wir hier am Baumwall schon ganz viel aus und bereiten uns sehr intensiv darauf vor, dass das dann in der neuen Umgebung, dem neuen Gebäude, tatsächlich alles sein kann.

 

Das Projekt Elbaufwärts gibt es innerhalb der Gruner & Jahr-Welt seit etwas anderthalb Jahren, und das Ziel ist nicht gerade klein gehalten. Es geht darum, der innovativste und kreativste Verlag zu sein und verantwortungsvoll zu handeln. Das tut Gruner & Jahr in diesem Projekt, indem sie sich auf drei Ebenen konzentrieren. Zum einen auf die Ebene der Zusammenarbeit und wie wir zusammenarbeiten wollen. Dann die Frage, mit welchen Technologien wir uns vernetzen und effizient arbeiten wollen. Die dritte Säule umfasst das Thema Arbeitsumgebung und damit unter anderem neue Büroräume, die in den nächsten Jahren auf die Mitarbeiter:innen von Gruner & Jahr warten.

Wenn ich jetzt dies als relative naive, nicht aus deinem Bereich Kommende höre, drängt sich mir ein bisschen der Gedanken auf, dass das, womit du dich beschäftigst, gar nicht mehr viel mit IT zu tun hat.

Das ist ganz richtig. Das hat unheimlich viel mit den vorhandenen Arbeitsabläufen und Arbeitsweisen bei allen anderen bei Gruner & Jahr zu tun. Egal ob da jetzt jemand in der Redaktion oder der Finanzbuchhaltung sitzt. Alle brauchen moderne Mittel, um zusammenarbeiten zu können. Es kommt eher darauf an zu verstehen, was diese Leute machen. Ganz eng und viel dabei ist, dass das dann immer auch viele Impulse automatisch mitgibt, wie „Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Wie funktioniert da die Führung?“. Das ist eine Erfahrung, die ich jetzt schon länger gesammelt habe: wenn Leute mich traditionell ansprechen, dass ich doch der Typ aus der IT sei und mich fragen, wie es mit dem Arbeiten zu Hause so liefe, ob ich einen Stecker habe und dann ginge das, dann kommt man innerhalb von fünf Minuten auf Organisations- und Führungsthemen. Weil die Leute merken, dass sie ja eigentlich gar nicht wollen, dass Maren von zu Hause arbeitet, Thorsten schon, aber Maren nicht, aber woran liegt das? Nicht daran, dass beide einen Laptop haben oder nicht, sondern dass da andere Sachen dahinter sind. Und so kommt man schnell ins Gespräch darüber, wie was funktioniert, wie man sich gut organisiert und was ich vielleicht erst einmal für mich, als Führungskraft, aber auch mit meinem Teams klären muss, ehe ich allen einen Laptop und ein Headset in die Hand drücke. Das ist der einfachere Part. Der schwierigere ist der andere Part, wo ich mir darüber Gedanken mache, was ich erreichen will, was ich mir als Führungskraft und meinen Teams zutraue, wie unterschiedlich die Leute sind und wie ich sie unterschiedlich anspreche, damit sie motiviert bleiben. Das ist der sehr, sehr viel herausfordernde, aber auch sehr viel spannendere Teil. Das so mitzugestalten, ist eine super Aufgabe und macht total Spaß.

 

So kommst du ja durch die Themen, mit denen du dich inhaltlich befasst, in die Rolle eines Sparringspartners für die Führungskräfte, wenn es darum geht, wie sie etwas mit ihrem Team umsetzen können.

 

«Da findet ganz viel Begleitung statt.»

 

Es ist dann immer eine interessante Frage, wie wir das letzten Endes organisieren. Wir haben für Neues Arbeiten ein ganzes Team an Leuten, die ganz viele Formate haben, wie sie das für sich herausfinden. Oft gehen die Wege ein wenig andersrum, sodass die Leute, in der Annahme es handle sich nur um eine technische Frage, mich oder eine.n von uns ansprechen. Wir begleiten sie dann ganz langsam zurück zu den anderen Leuten und sagen: Macht euch doch erst einmal Gedanken darüber, wie ihr zusammenarbeiten wollt. Wenn ihr dann irgendwann auf die Idee kommt, ein Kanban-Board könnte hilfreich sein, dann ruft wieder bei uns an, und wir erklären euch, wie ein Kanban-Board funktioniert.

Da findet ganz viel Begleitung statt. Wir müssen gucken, dass wir nicht mit einer Lösung kommen, ohne dass die Leute sich bereits Gedanken über ihre Anforderungen oder ihre Ziele gemacht haben

 

Den Impuls zu unterdrücken, vom technischen Hintergrundwissen sofort die Antwort zu geben, obwohl man noch gar nicht weiß, was eigentlich das Problem ist.

Ja, klar. Das machen wir ja alle. Es ist ja nicht nur, weil wir da jetzt vielleicht irgendwie methodisch und technologisch Vorreiter:innen sind, sondern wir erleben das ja selbst, am eigenen Leib, die ganze Zeit. Dass das ein Weg ist, auf dem wir sind. Und nicht ein Zustand bzw. eine Stufe, die wir erreicht haben und Haken dran. Das geht die ganze Zeit in so iterativen Schleifen auch wieder zurück und dann zwei Schritte nach vorn und wieder einen zurück, zwei Schritte nach vorn … Das passiert uns selber. Was aber gut ist, denn so kannst du die Leute gut beraten. „Mach dich darauf gefasst, dass es nicht einfach wird. Es wird auch Rückschläge geben. Bei mir waren es übrigens die folgenden …“. Das ist dann sehr hilfreich für die Beratung.

 

Wie würdest du dein eigenes Verständnis von Führung beschreiben?

 

«Freiheit und den richtigen Rahmen geben, in dem sich die Leute ausprobieren, scheitern und weiterentwickeln können.»

 

Ich würde sagen, dass ich meine eigenen Leute dazu bewege, bestmöglich ihre eigenen Stärken ausspielen zu können, sodass sie die größtmögliche Wirkung für sich entfalten und herausfinden können, was es denn eigentlich ist. Ich habe es jetzt schon ein paarmal erlebt, dass jemand das Gefühl hat, unglücklich zu sein, man auch als Führungskraft das Gefühl hat, dass es nicht richtig funktioniert, und dann merkt man, dass die-/derjenige etwas anderes kann als das, was sie/er gerade macht. Das herauszufinden, dabei zu begleiten und zu unterstützen. Und was inzwischen, oder wenn es das nicht auch schon immer war, super wichtig ist: Freiheit und den richtigen Rahmen geben, in dem sich die Leute ausprobieren, scheitern und weiterentwickeln können. Dafür Sicherheit geben, vielleicht auch Ideen reingeben, wie das funktionieren kann, eventuell auch als Vorbild dienen, um eine Entwicklung in eine gewisse Richtung zu erleichtern oder zu unterstützen, das ist bei mir auf jeden Fall der Schwerpunkt meiner Führungsaufgabe bzw. Führungsarbeit. Ich glaube, das ist auch auf viele Bereiche übertragbar. Man muss immer dazusagen, dass es mir einigermaßen leicht fällt, das so zu tun, weil ich nie Experte für das war, was meine Mitarbeiter:innen konnten. Solange ich hier bei Gruner & Jahr Führungskraft bin, war ich nie der, der am besten wusste, wie etwas geht. Wenn es darum ging, wo das Kabel rein muss … ich weiß es nicht. Das ist auch etwas gewesen, das mich selbst sehr beschäftigt hat, weil es doch die Erwartung vieler Leute ist. Du musst es doch wissen! Du musst es entscheiden! Sag du uns, wie wir uns da aufstellen sollen! Damit habe ich lange gerungen. Wenn das die Erwartung ist, dann muss ich das wohl. Bis ich irgendwann für mich meinen Frieden gefunden und gesagt habe, dass es das nicht ist, dass ich das nicht kann, aber dafür etwas anderes und dass ich ein anderes Verständnis davon habe. Dieser Weg, dass die Leute gelernt haben, dass sie im Zweifelsfall eine:n Vorgesetze:n haben, die/der entscheidet, dass wir es so oder so machen, davon befreie ich sie ein Stück und kriege sie in die eigene Verantwortung. Das ist ein Weg, der ewig dauert. Das ist richtig viel Arbeit, denn alle sind an einer unterschiedlichen Stelle. All das zu organisieren ist das, was ich unter Führung verstehe.

 

Ich finde es super interessant, dass du gerade von diesem Weg gesprochen hast. Ihn zu finden, wenn man irgendwann mal Führungskraft wird und mit dem Verständnis hineinwächst, Antworten geben zu müssen und Menschen vor sich stehen zu haben, die Antworten wollen. Da sind dann diese zwei Erwartungshaltungen. Ich erlebe sehr oft, dass gerade Menschen, die neu in Führungsverantwortung kommen, den Impuls haben, dieser Erwartungshaltung nachzugeben und einfach Antworten geben zu wollen. Sie fühlen sich dann oft damit überfordert, weil sie fachlich und inhaltlich genau das eigentlich nicht können bzw. selbst spüren und merken, dass es keine einfachen Antworten gibt und es deshalb keinen Sinn macht, sie alleine zu geben. Trotzdem wird man da oft reingetrieben.

Was war für dich der Punkt, als du entschieden hast, das nicht mehr zu wollen? Gab es irgendwelche besonderen Situationen?

Ich kann mich ganz gut an eine Situation erinnern, die vielleicht zwei Jahre her ist. Da ging es sehr intensiv darum, wie wir ein großes Projekt aufsetzen und was da die Arbeitsweise ist. Es gab einen Moment, wo jemand in das Projekt reinkam und schaute, wie wir arbeiten, was wir machen und wo die Ergebnisse sind. Dieser Mensch hatte den starken Impuls, uns zu erklären, wie das zu machen ist. Und ich stand dazwischen, stimmte erst zu, doch dann fuhr ich nach Hause, dachte nach und entschied, dass ich 48 Stunden haben wollte, damit wir das selbst geregelt kriegen. Um dann nicht einfach zu entscheiden, dass wir das anders machen, ob das jetzt meine Meinung ist oder, das wäre ja noch schlimmer, ich sie einfach nur vollstrecke, sondern um es trotzdem wieder zurückzugeben an das Team. Das war ein entscheidender Moment für mich, weil ich gemerkt habe, dass vom Team unheimlich viel zurückkam. Das fanden alle wahnsinnig anstrengend, einige waren echt gekränkt und fanden das ganz komisch, was in diesen 48 Stunden passierte. Was machen wir hier gerade? Workshop? Pizza auf den Tisch und überlegen, was wir anders machen und wie wir es machen können. Wer hat Ideen? Dann aber zu merken, welchen Sprung die Leute in dem Moment machen, wenn sie merken, dass es ein Problem gibt und der Reflex nicht da ist, ihnen zu sagen, wie es geht. Sondern sie kriegen zwei, drei, vier Möglichkeiten, um sich selbst etwas anderes zu überlegen. Das hat total viel für das Team gebracht. Danach hattest du das Gefühl, dass wir jetzt durch dick und dünn gehen, dass uns nichts mehr passieren kann. Das prägt. Wenn ich überlege, ob es diesen einen Moment gab, dann würde ich diesen nennen.

Selbst wenn auch heute dieses Aushalten noch schwierig ist, wenn da keiner steht und sagt, wie es geht. Das ist total anstrengend. Das ist für einige echt schwer. Es macht auch hilflos, wenn ich sage, dass ich es auch nicht weiß. Wer weiß es denn dann? Niemand. Dann müssen wir halt versuchen, uns durch die Unsicherheit zu bewegen, ohne dass eine.r hinten runter fällt. Die Leute dabei zu behalten, dass keine:r stiften geht, das ist dann die Kunst. Aber es ist auch nicht für jede:n einfach.

 

Sind auf dem Weg auch Menschen abhanden gekommen, weil sie damit nicht so klarkommen?

 

«Endlich ist es transparent, welche Informationen einfließen, welche Skills wirklich gebraucht werden und wovon alles abhängt.»

 

Nein. Glücklicherweise nicht. Aber man sieht ja, dass es nicht für jede:n gleich leicht ist. Ich habe in letzter Zeit noch einmal einen Versuch mit einem Team gestartet. Entscheidungen, die klassischerweise ich in meiner unendlichen Genialität alleine getroffen, irgendwelche Dinge in meinem Gehirn innerhalb von zwei Millisekunden abgewogen und gesagt habe, dass das doch ein Thema für Sabine sei, habe ich im Team entscheiden lassen. Wer welche Projekte übernimmt. Da passieren ganz unterschiedliche Sachen. Erstens stellen wir alle zusammen fest, dass ein gemeinsamer Entscheidungsprozess viel länger dauert als die fünf Millisekunden im Gehirn eines/r genialischen Entscheiders/Entscheiderin. Das ist anstrengend. Manche sagen, dass sie es ganz toll finden, dass es so gemacht wird. Endlich ist es transparent, welche Informationen einfließen, welche Skills wirklich gebraucht werden und wovon alles abhängt. Und manche sagen, dass ich es bitte wieder entscheiden soll, weil das schöner war.

 

Das war irgendwie netter.

Es war irgendwie einfacher.

Ich weiß auch noch nicht, wie das Experiment ausgeht. Wir geben uns noch ein paar Monate. Und wir lernen was daraus.

 

Die Frage ist ja auch, ob solch ein Prozess jemals zu einem Ende kommt. Es ist ja ein ständiges Austarieren, ob es Situationen gibt, in denen wir so handeln und in anderen Situationen so. Wie du gesagt hast, wird man in iterativen Schleifen bleiben. Dadurch guckt man immer wieder, was noch passt und wie es noch funktioniert.

Ich fand das neulich ganz lustig. Meine Kollegin Nele, die für das Neue Arbeiten verantwortlich ist, sagte, wenn sie gefragt wird, wo wir uns eigentlich insgesamt als Gruner & Jahr auf unserer Veränderungsreise befinden: „Mittendrin. Und ich kann euch nicht sagen, ob noch ganz am Anfang oder kurz vor dem Ende. Ich glaube, wir bleiben in diesem Zustand mittendrin“.

 

Gruner & Jahr ist ein ziemlich traditionsreiches Verlagshaus. Ich glaube, es gibt wenige Menschen, die die Zeitschriften gar nicht kennen und nicht schon einmal in irgendeiner Form eine Zeitschrift von Gruner & Jahr in der Hand hatten. Hierzu gehören Titel wie Stern, GEO, Brigitte, Essen & Trinken oder Schöner Wohnen. Alles Mögliche, was man lesen und wo man inhaltlich eintauchen kann. Gleichzeitig hat Gruner & Jahr aber auch die Herausforderung, die die gesamte Branche schon seit 15 bis 20 Jahren hat, dass das klassische Printprodukt nicht mehr so den Anklang findet, wie es vor vielen Jahren der Fall war. Das heißt, Gruner & Jahr hat sich, wie viele andere Verlagshäuser, genötigt gesehen, Dinge anders zu machen und sich weiterzuentwickeln. In der Zwischenzeit ist „Verlagshaus“ vielleicht gar nicht mehr so der passende Begriff, sondern es geht natürlich auch in Richtung Neue Medien. Mit diesem Umbruch, der in den letzten Jahren stattgefunden hat, hat sich auch einiges in Bewegung gesetzt. 

Wenn ich wüsste, wo ich genau herkomme, also als Unternehmen, wie soll das gehen? Jede:r ist woanders. Und wenn ich wüsste, wo ich genau hin will, das wäre ja auch komisch. Auch das muss man für sich erst einmal so durchholen. Auch das muss man aushalten können, dass man das nicht genau weiß.

Wir werden auch immer mal gefragt, ob wir KPIs haben, an denen wir messen, wie weit wir sind, woran wir messen, ob das erfolgreich ist. Nein. Bisher messen wir es daran, wie viele Leute zu den Veranstaltungen, die wir machen, kommen. Oder ob unsere Berater:innen arbeitslos sind oder viel angefragt werden. Das sind weiche Messgrößen, wo wir es nicht messen, aber an denen wir es gut beobachten können.

 

Weicher Indikator.

 

«Im ersten Moment fühlte ich mich in meiner Ehre als Führungskraft gekränkt, aber am Ende des Tages war ich total stolz.»

 

Ja, genau. Eine Sache ist mir neulich aufgefallen. Wenn man wirklich herausfinden will, wo man auf der Reise von einem „Autoritären System, eine:r entscheidet“ zu einem „Horizontalen, selbstorganisierten Entscheidungsorganismus“ ist, muss man sich mal wieder so verhalten wie früher und dann gucken, wie die anderen reagieren. Wenn dann alle sagen „Okay, Thomas, alles klar, du hast das zu entscheiden, und wir machen es so, wie du es sagst!“, warst du noch nicht weit. Wenn aber mehrere Leute zu dir kommen und dich fragen, was du da machst, seit wann du für sie entscheidest, was sie machen sollen und dass doch gesagt worden war, dass solch ein Quatsch hier nicht gemacht wird, dann ist das ein starker Abwehrreflex gegen das alte Verhalten. Im ersten Moment fühlte ich mich in meiner Ehre als Führungskraft gekränkt, aber am Ende des Tages war ich total stolz. Super! Was für eine tolle Reaktion. Weil das eben zeigt, dass man schon ein bisschen auf diesem Weg über den Berg ist. Es wird nicht mehr akzeptiert, dass eine:r, ohne die anderen zu fragen, etwas entscheidet. Nur weil sie/er Leiter:in von XYZ ist. Das fand ich total gut.

Das kann ja jede:r mal für sich ausprobieren.

 

Du hast das offensichtlich nicht bewusst ausprobiert, sondern du bist in die Falle getappt?

Genau. Das sage ich ja selbst auch, dass es einer/m immer wieder passiert. Ich bin da reingestolpert in die Falle. Als dann die Reaktion kam, rief ich „Nein, so war das doch alles nicht gemeint, war doch nur ein Vorschlag!“ und als Antwort: „Vorschlag! Du hast doch da schon verkündet, wie du das machen willst!“ Also ein super Indikator für eine:n selbst und wo man sich auf der Reise befindet.

 

Das gefällt mir so gut, dass ich gerade überlege, das mit in meine Beratungsthematik reinzunehmen. Dieses Austesten. Denn die Frage ist ja, ob das Pendel sofort zurückschlägt oder ob der Widerstand gegen das alte Verhalten tatsächlich da ist. Schön, wie du das beschreibst. Und es kann ja nur dadurch passieren, dass die Leute in deinem Team den Mehrwert, in der Art und Weise wie es jetzt ist, für sich sehen.

Die sind halt voll in charge. Wenn ich dann auf einmal sage: „Jetzt gerade nicht“, dann packe ich die aber bei ihrer Verantwortung. Besser geht es eigentlich nicht.

 

Du hast davon gesprochen, Unsicherheiten auszuhalten und nicht einfach selbst eine Entscheidung zu treffen. Wie gehst du als Thomas damit um, das auszuhalten und die Unsicherheiten oder Reibungen, die entstehen, zu ertragen?

Ich glaube, mir geht es ganz gut dabei, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass es richtig ist. Es ist nichts, was mir jemand gesagt hat. Dass wir das hier bei Gruner & Jahr jetzt so machen. Nichts, was ich in irgendeinem Managementlehrgang mal gehört habe. Sondern etwas, von dem ich glaube, dass es so richtig ist und so funktionieren muss. Das hilft total dabei, auch eigene Rückschläge und Widersprüchlichkeiten auszuhalten und es auch auszusprechen, wenn jemand anderes sich so verhält. Wo stehen die anderen? Man guckt ja selbst viel auf sich und sein eigenes Team, aber wir sind ja auch Teil der IT, einem größeren Konglomerat und dann Teil von ganz Gruner & Jahr. Da müsste, nach meinem Dafürhalten, noch viel mehr Austausch stattfinden. Wo sind die anderen? Wenn die das mitkriegen, was ich mache, finden die das uninteressant oder komisch, finden die das cool? Ich habe einfach keine Ahnung, weil wir nicht darüber reden. Das muss man auf jeden Fall ändern.

 

Der Austausch über dieses Gesamtthema Leadership/Führung ist in ganz vielen Unternehmen ein echtes Tabu. Da gibt es dann oft kleinere Inseln, auf denen eine bestimmte Art von Führung gelebt wird, aber darüber wird sich nicht ausgetauscht. Weil man nie innerhalb der Organisation gelernt hat, über das Thema Führung zu sprechen und Fragen zu stellen, wie: wie machst du das, warum machst du das so, was ist dein Grundverständnis, warum gehst du so daran und nicht anders? Sowas überhaupt erst einmal zu besprechen, ist echt schwierig.

 

«In den Austausch zu gehen, heißt zuerst einmal, dass ich Bedarf daran habe, etwas zu lernen, etwas zu hinterfragen, mich selbst zu reflektieren.»

 

Das hat superviel damit zu tun, was wir gelernt haben, wie Führung funktioniert und warum jemand Führungskraft ist. Denn in den Austausch zu gehen, heißt zuerst einmal, dass ich Bedarf daran habe, etwas zu lernen, etwas zu hinterfragen, mich selbst zu reflektieren. Warum sollte ich sonst mit jemandem in den Austausch gehen? Und wenn ich sage, dass ich Bedarf habe, über Leadership und Führung in den Austausch zu gehen, heißt das, dass ich nicht alles weiß. Das fällt jemandem, die/der eine klassische Ingenieurskarriere hinter sich hat, total schwer. Sich einfach nur einzugestehen oder zuzugeben, was für ein bescheuertes Wort in dem Zusammenhang, dass ich Austausch brauche. Es gibt Dinge, die sind neu, woher soll ich die alle kennen? Es gibt Dinge, die machten andere gut/schlecht vor mir, früher, wir können uns über deren Erfahrungen austauschen. Das ist alles immer ein Teil davon, dass ich für mich anerkenne, dass ich nicht alles weiß, dass nicht alles schon mal bei mir vorbeigekommen ist.

Vielen Führungskräften fällt das immer noch schwer. Das ist auch etwas, wo ich mich manchmal frage … in dem Austausch, in dem wir uns kennengelernt haben, bei Twitter, aber auch in anderen Netzwerken sind da viele Leute dabei, die sagen, ich bin Führungskraft und hab da irgendwie Themen. Es ist schon toll, dass da ganz viel Austausch stattfindet, aber das kommt offensichtlich erst später in der Evolution. In den Bubbles, in denen wir da gemeinsam unterwegs sind, ist das natürlich schon ein bisschen anders.

 

Das stimmt. Du hattest vorhin ja mal diese:n genialistische:n Entscheider:in ironisch in den Raum geworfen. Das hält sich immer noch ganz, ganz fest. Tatsächlich ist dieses Rauskommen aus diesem Bild dadurch so schwierig, dass es eben oft noch bewusst oder unbewusst erwartet wird. Du hast selbst geschildert, dass diese Erwartungshaltungen noch da sind. Ich werde dann wohl irgendwann eine Entscheidung treffen müssen, welcher Erwartungshaltung ich nachkomme. Der nach Freiheit, Selbstgestaltung und Selbstorganisation oder der nach „Entscheide für uns, weil alles so unklar und komplex ist und wir nicht weiterwissen“. Vielen ist vielleicht noch gar nicht klar, dass diese Entscheidung bewusst zu treffen, Teil ihrer Rolle ist.

 

«Ich kenne nicht jede einzelne Entscheidung meiner Leute, ich vertraue ihnen aber, dass sie das gut und richtig tun.»

 

Woran ich merke, dass das tatsächlich immer noch ein Spagat und ein Ausloten sind, ist das Thema Verantwortung. Wenn ich sage, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll verantwortlich sind, heißt das trotzdem, dass ich, als derjenige, der darüber sitzt, in Summe auch voll verantwortlich bin. Das ist mein Selbstverständnis, hat aber auch etwas damit zu tun, dass ich natürlich auch dafür verantwortlich bin, die Leute im Zweifelsfall ein Stück abzupuffern oder zu schützen. Ich kann mich ja nicht dahinter verstecken zu sagen, dass XZ das entschieden hat und dass sie/er ja auch dafür verantwortlich ist. Nee. Das hat wahnsinnig viel mit Verantwortung und Vertrauen zu tun. Ich kenne nicht jede einzelne Entscheidung meiner Leute, ich vertraue ihnen aber, dass sie das gut und richtig tun und trage in manchen Fällen dann auch blind die Verantwortung mit. Und das hat wahnsinnig viel mit Vertrauen zu tun. Das zu erarbeiten, ist natürlich auch ein Weg, weil du das mit jeder/m Einzelnen erst einmal aufbauen musst. Und trotzdem wirst du dann vielleicht angemault, wer das entschieden hat, und dann gucken alle mich an und nicht die/den Einzelne:n, die/der etwas weiter unten in der Kette das wirklich entschieden hat. Dann muss ich das auch verteidigen. Auch wenn das gar nicht meine Meinung oder meine Entscheidung ist und sich auch meiner Kenntnis entzieht. Da merkt man dann auch selbst den Spagat, den es noch gibt.

 

Was war dann für dich bisher persönlich die größte Herausforderung, vor allem mit Bezug auf Führung, Veränderung, Transformation?

 

«Die simple Wahrheit ist: zusammen funktioniert es einfach besser.»

 

Ich hatte eine Zeitlang mit einem meiner Mitarbeiter einen Konflikt, weil wir uns die ganze Zeit darüber gezofft haben, wer für was zuständig ist. Aus seiner Sicht, völlig berechtigt, „wenn du das jetzt hier alles gestaltest, warum bin ich denn da?“ Ich hatte aber die ganze Zeit das Gefühl, dass das so richtig ist, wie wir es versuchten, zusammen zu machen. Ich konnte es aber nicht benennen. Die Herausforderung dabei war, es auszusprechen, warum ich ihn brauche. Und zwar auch da wieder, weil er Sachen kann, die ich nicht so gut kann wie er. Die simple Wahrheit ist: zusammen funktioniert es einfach besser. Aber das auszusprechen, habe ich gemerkt, kostete mich Zeit, um es zu erkennen und dann, dafür die richtigen Worte und den richtigen Anlass zu finden. Um es ihm zu sagen, ohne zu salbungsvoll daherzukommen, als hätte ich eine Erleuchtung gehabt. Nach dem Artikulieren war es plötzlich in Ordnung. Seitdem können wir uns Signale geben, wenn es wieder nicht funktioniert. Das kostete aber auch echt Überwindung, dort hinzukommen. Das war viel zu lang, dass dieser Konflikt dagewesen war. Es hat sich alles gut gelöst. Aber das ist etwas, wenn ich wieder an solch eine Stelle kommen würde, oder auch andere, würde ich auf mein Bauchgefühl hören. Man ist emotional dabei, guckt auf die Themen, findet keine Lösungen, aber wenn man sich etwas Mühe gibt, ist es am Ende ganz, ganz oft möglich, die Dinge zu versachlichen. Dann ist es leichter, Lösungen zu finden. Dann kann man darüber sprechen und eine gute Zusammenarbeit finden.

 

Ich bin gerade ein bisschen über das Wort „versachlichen“ gestolpert, denn ich glaube, dass es das gar nicht war, sondern eher das Gegenteil. Du hast ausgesprochen, was dir wichtig ist, und dann ist es weniger, das zu versachlichen, sondern es besprechbar zu machen.

Ja, richtig. Versachlichen ist da wahrscheinlich das falsche Wort. Aber sich selbst aus diesem Bauchgrummeln zu befreien, das nicht artikulierbar ist und auch nicht artikuliert wird. Und dann kommen da Führungsthemen dazwischen. Darf der mich das alles fragen? Muss ich mich jetzt erklären? Kann der nicht einfach machen, was ich ihm sage?! Dieses ungute Terrain zu verlassen und dorthin zu gelangen, wo man es besprechen kann, darum geht es.

 

Hast du das Gefühl, dass dir das jetzt grundsätzlich leichter fällt, dadurch, dass du diese Erfahrung gemacht hast?

 

«Was ich neulich gelernt habe, ist der Unterschied zwischen echter Zusammenarbeit und Nötigung.»

 

Ja, würde ich auf jeden Fall sagen. Ich bin noch nicht ganz so weit, dass es so bewusst ist. Es hilft mir auch noch oft, von anderen Leuten Begrifflichkeiten aufzunehmen. Was ich neulich gelernt habe, ist der Unterschied zwischen echter Zusammenarbeit und Nötigung. Wo ich auch gemerkt habe, dass ich Leute oft noch nötige. Wenn man mit seinem Team darüber redet, wie man etwas machen will und man als Vorgesetzte:r, Verantwortliche:r oder einfach als die-/derjenige, die/der immer als erstes etwas sagt, etwas vorschlägt, dann ist das keine Zusammenarbeit mehr, sondern Nötigung. Ich nötige die anderen dazu, mir entweder zu folgen oder sich aktiv über meinen Vorschlag hinwegzusetzen. Es hat mir total geholfen, mich immer wieder dabei zu beobachten, ob es wirklich Zusammenarbeit ist oder nicht.

 

Ein wichtiger Aspekt. Wahrscheinlich ist es oft so, dass es dir oder auch anderen passiert, dass man sich unbewusst so verhält.

Total.

 

Anhand der Art und Weise, wie man den Vorschlag formuliert, ist er in den Raum gesetzt und es lässt sich nichts mehr dagegen machen.

Da wirken unterschiedlichste Kräfte, wer wie was sagt.

 

Schöne Unterscheidung. Das ist durchaus relevant beim Thema Führung.

Man richtet da ganz schnell Schaden an, den man gar nicht so richtig mitkriegt. Man meint es ja nur gut. Ich will ja nur schnell zu einer Entscheidung kommen, ihr habt mich ja gefragt, was meine Meinung ist.

 

Woher holst du dir Inspiration?

Ganz viel Inspiration hole ich mir in sozialen Netzwerken. Das sind bei mir Twitter und LinkedIn. Ansonsten in Büchern und bei anderen Führungskräften, die ich hier sehe, die ich woanders treffe. Einfach bei anderen Menschen, das müssen noch nicht mal Führungskräfte sein. Ich gehe immer mal zu irgendwelchen Meet-ups, bei denen ich Menschen kennenlerne, die Dinge tun, die ich erst mal nicht kenne und komisch finde. Oder zu irgendwelchen Barcamps. Ich habe für mich festgestellt, gerade beim Thema Barcamps, dass ich, wenn ich irgendwohin gehe, wo ich erst denke, was ist das denn für ein schräger Vogel, dass das die Menschen sind, von denen ich am meisten lernen kann.

 

Widerstand ist immer ein gutes Zeichen dafür, dass man da ganz viel für sich rausholen kann.

Bleib mal hier, auch wenn der Reflex ist, dass es mir zu esoterisch oder verkopft ist. Ich geh nicht weg, denn wahrscheinlich bleibt etwas hängen, oder es kommt dann doch der richtige Moment, um mich einzubringen. Ansonsten ist es bei mir in letzter Zeit recht intensiv mit Twitter, weil sich da ein Grüppchen von Leuten gefunden hat, an das ich mich ehrlicherweise irgendwann herangewanzt habe. Das hilft mir total. Neue Ideen und Inspiration zu finden, aber auch, die Füße mal ins Wasser zu halten, um zu schauen, wie warm es eigentlich ist. Um Rückmeldung zu kriegen, ob das, was wir hier machen, Quatsch ist, irre oder ganz normal und immer mal Fragen zu stellen. Das Tolle ist, dass ich all diese Sachen ja auch intern machen könnte, aber da ist immer diese Barriere, von der wir vorhin schon mal gesprochen haben. Da sind es in der Regel Leute, die ich eigentlich gar nicht so richtig kenne und jede:r ist ganz anders unterwegs. Der eine arbeitet in Stuttgart, die andere in Flensburg, der eine produziert Reifen, die andere Schrauben, und wir machen etwas mit Medien. Da fällt es mir total leicht, darüber zu reden und mich zu öffnen. Das ist sehr, sehr hilfreich. Man merkt oft, dass manche Firmen aufgrund ihrer Tradition oder ihrer Größe vielleicht auf den ersten Blick andere Themen als man selbst haben, aber am Ende haben sie alle dieselben Themen. Es ist toll, wenn man da Leute findet, bei denen man merkt, dass sie ähnlich ticken, auch Sachen in einem ähnlichen Umfeld ausprobieren, das ist eine super Inspiration.

 

Neben deinem eigenen Führungskosmos, was beschäftigt dich sonst rund um das Thema Leadership?

Wie kriegt man das bei sich ins Unternehmen rein? Ich habe das Gefühl, viel mit der Außenwelt in Kontakt zu stehen, aber wie kriege ich das, was ich lerne und für mich selbstverständlich ist, in das Unternehmen? Wir kriegt man darüber ein gemeinsames Verständnis verankert, und ist das überhaupt möglich? Ich weiß an manchen Stellen gar nicht so genau, ob das alle so wollen wie ich es gut finde. Kriegt man über so etwas wie Leadership ein gemeinsames Verständnis mit mehr als drei Leuten hin? Wenn ja, wie geht das? Wenn nein, was dann, was tun? Ist das schlimm, oder ist das dann einfach so, und wir müssen es akzeptieren? Reicht es, dass wir uns dessen bewusst sind? Das ist die eine Frage.

 

«Warum soll ich das unterstützen, wenn dabei herauskommt, dass man mich dann nicht mehr braucht?»

 

Die andere ist, was ich ja auch vorhin schon gesagt habe, wenn man an ganz traditionell autoritäres Führungsverständnis denkt, sind wir schon einen Schritt weitergegangen, zu Projektorganisation, Matrixorganisation und noch einen Schritt weiter zu etwas Horizontalem. Ich erlebe zurzeit gerade, was in diesem Prozess meine Führungsaufgabe ist, aber ich kann dir nicht sagen, was ist, wenn es einen gewissen Reifegrad und eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Was dann?

Aber ich bin total zuversichtlich, dass es für Führung dann eine neue Aufgabe geben wird. Ich persönlich habe keine Angst davor, dass es eine neue Aufgabe ist, von der ich heute noch gar nichts weiß. Ich beschäftige mich im Moment mit der Frage, was kommt nachdem, was wir gerade machen. Es gibt Leute, die uns das auch schon fragen. Im Rahmen von Neues Arbeiten haben wir ein Format, bei dem wir agile Workshops für Teams anbieten, die sich bewerben, um agiles Arbeiten kennenzulernen. Da sind wahnsinnig viele Leute gekommen, viele hundert Leute, viele Teams, die das kennenlernen wollten und für die das neu war. Aber natürlich gab es auch viele Teams, denen das suspekt war und die sich fragten, was danach käme. Danach werden wir auch gefragt.

Natürlich ist es nicht so, dass ich der große Vordenker und Vorreiter bin. Es gibt ganz viele Leute, die sich damit beschäftigen. Ich sehe aber, dass sich auf dem Schritt dahin, andere Führungskräfte die Frage stellen, warum sie diesen Schritt begleiten sollen, wenn sie in dem, was sie gelernt haben und wofür sie als Führungskraft da sind, nicht mehr gebraucht werden. An diesem Punkt sind, glaube ich, gerade ganz viele. Für sie scheint es in die Richtung von selbstorganisierten Teams, horizontalen Entscheidungen und weniger Hierarchie zu gehen. Und das scheint auch richtig zu sein, weil damit effizientere Entwicklungen stattfinden können, weil damit sehr autark entschieden werden kann und sich die Leute viel besser mit dem, was sie tun, identifizieren können. Aber was heißt das dann für mich? Warum soll ich das unterstützen, wenn dabei herauskommt, dass man mich dann nicht mehr braucht? Das ist eine Frage, die uns bei Elbaufwärts insgesamt beschäftigt. Das passiert mir auch nach außen gerichtet, wenn ich in der Twitter-Bubble unterwegs bin, wo alle einer Meinung sind und der Ball schon ganz weit vorne ist, und so ähnlich geht uns das auch im Elbaufwärts-Projekt. Immer mal wieder den Blick in die eigene Organisation zu werfen und zu schauen, wo alle sind und nicht versehentlich abzureißen und die ganze Zeit den Ball so weit von der Realität der meisten Leute wegzuwerfen, sodass sie nicht mehr nachkommen. Ihr mit eurem Chi-Chi hier. Ich habe echt andere Sorgen. Das ist, glaube ich, auch eine Herausforderung.

 

Das, was du gerade ansprichst, finde ich super spannend. Gerade für euch als Organisation, aber auch grundsätzlich mit der Frage, wohin es sich danach entwickelt. Das hat viel mit der Frage zu tun, was der Mehrwert ist, den Führung und Leadership in Organisationen leisten. Das ändert sich gerade radikal. Wir sprachen vorhin davon, dass der Mehrwert ist, Antworten zu geben, mich zu kümmern, ein Filter zu sein und mich schützend vor meinem Team zu stellen bis hin zu mein Mehrwert für euch ist, dass ihr alles habt, was ihr braucht, um arbeiten zu können. Diese Frage wird sich immer wieder neu stellen müssen. Welchen Mehrwert liefert Führung noch in anderen Kontexten? Und wahrscheinlich ist es genauso wichtig und legitim, dass es innerhalb einer Organisation ganz unterschiedliche Mehrwerte gibt, die geliefert werden.

Das Spannungsfeld ist nicht ohne.

 

«Wichtig ist, dass man immer guckt, womit man es zu tun hat, was die Herausforderung ist und welchen Charakter die Aufgaben haben.»

 

Wir merken ja auch immer wieder unter dem Stichwort agiles Arbeiten, auch bei uns im Team Projektmanagement, dass das schnell einen Schlag von „Old school – new school“ bekommt. Das alte Arbeiten ist schlecht, das neue ist cool. Nee, Leute. Wichtig ist, dass man immer guckt, womit man es zu tun hat, was die Herausforderung ist und welchen Charakter die Aufgaben haben. Sonst kann es sein, dass du eher Schaden anrichtest, wenn du sagst, dass die in der XY-Produktion das agil machen sollen, und dann macht es einmal Rums, und es funktioniert nicht. Meines Erachtens nach ist es ganz normal, dass es in jeder Organisation, die eine gewissen Größe hat, alles gibt. Das ist auch ein Entwicklungsschritt im Reifegrad einer Organisation, dies zu verstehen, anzuerkennen und zu moderieren. Da wirken echt schnell Kräfte. Die Frage, ob man zu alt oder zu uncool sei, kommt sehr viel schneller als man denkt. Da muss man hingucken, zuhören und allen erklären, dass alles seine Daseinsberechtigung hat. Wir sollten uns damit auseinandersetzen, was wir hier für eine Art Aufgabenstellung haben. Ich glaube, im Fall von agilem Arbeiten, agilem Projektmanagement hat es den Werkzeugkoffer erweitert. Für Dinge, die wir in der Vergangenheit immer mit dem falschen Werkzeug bearbeitet haben. Das heißt aber nicht, dass plötzlich alle Aufgaben dafür richtig sind.

 

Ich habe noch zwei kleine Fragen an dich. Die eine ist: wenn du dir aussuchen könntest, völlig frei, ob diese Person noch lebt oder berühmt ist, mit wem würdest du dich gerne mal über das Thema Leadership unterhalten?

Das war eine der Fragen, auf die ich mich hätte vorbereiten sollen, oder?

 

Ach Quatsch. Es gab keine Hausaufgaben, das möchte ich hier festhalten.

Lachen.

Mit Ulrich Goldschmidt aus deinem Podcast (Folge 6, wer das Gespräch nachhören möchte) würde ich mich liebend gerne unterhalten. Er ist einfach total super und hat irre viel Erfahrung.

Und dann würde ich vielleicht gerne mit jemandem ganz Fremden sprechen. Fremd im Sinne davon, dass die Person aus einem ganz anderen Bereich ist. Vielleicht Bibiana Steinhaus, die (ehemalige) Bundesligaschiedsrichterin. Was erlebt sie so, was ja auch irgendwie alles mit Führung zu tun hat, was sie da macht. Und auch noch in einer besonderen Rolle und Situation. Ich glaube, da kann man unheimlich viel lernen und Parallelen sichtbar machen. Das fänd ich auch ziemlich cool.

 

Das ist spannend. Ich kann mir vorstellen, dass solch eine Gesprächspartnerin noch mal ganz andere Aspekte mit reinbringt.

Die letzte Frage an dich ist, was ich dich nicht gefragt habe, was dir rund um das Thema Leadership aber wichtig wäre?

Ich glaube, was ein interessanter Aspekt ist und was für alle gilt, die arbeiten gehen und damit auch für Führungskräfte, ist das Bild von einem ganzheitlichen Menschen. Das macht auch etwas mit Führung und Führungskräften in Zukunft. Dass man sich davon verabschieden muss, eine ganz bestimmte Rolle zu erfüllen oder bestimmte Dinge nach vorne zu kehren und andere zu verstecken.

Wir haben schon viel über Unsicherheit gesprochen, aber das hat ja auch was mit anderen Schwächen zu tun. Ich hatte das in letzter Zeit selbst sehr intensiv, dass es Tage gibt, an denen es mir scheiße geht. Das bringe ich mit hierher. In so einer traditionellen Frage von Führung fällt es Leuten total schwer zuzugeben, dass sie heute eigentlich nicht ansprechbar sind. Oder dass es einen Grund hat, warum ich in letzter Zeit so ruppig bin. Der Grund liegt im Kindergarten oder im Krankenhaus oder sonstwo. Darüber zu sprechen, wie man Führungskräften hilft, sich darüber bewusst zu werden, darüber zu sprechen und sich dementsprechend als ganzer Mensch zu verhalten und nicht die Hälfte der eigenen Eigenschaften, Sorgen und Interessen auszuschalten, wenn man unten durch die Tür geht.

 

Das finde ich auch extrem wichtig, weil ich glaube, dass viele von den stressbedingten Erkrankungen oder Erschöpfungszuständen damit zu tun haben, dass es oft noch so gelebt wird, dass der emotionale Mensch von draußen und der sachorientierte Mensch am Arbeitsplatz nichts miteinander zu tun haben. Viele haben das Gefühl, so handeln zu müssen und zu „funktionieren“.

Genau. Sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten.

 

Und gleichzeitig lässt sich das nicht unterdrücken. Wenn jemand aus dem privaten Umfeld heraus gerade in einer Stresssituation ist, wird sie/er das nicht überspielen können bzw. sendet ganz viele Botschaften aus, die anderen zeigen, dass etwas nicht stimmt. Aber dadurch, dass es nicht angesprochen wird, bezieht es jede:r auf sich selbst. Emotionen am Arbeitsplatz zuzulassen und darüber zu sprechen, ist eine große Herausforderung.

Das, was du sagst, es wegzulassen, ist dann oft auch Grund für Stress und Unzufriedenheit oder noch ganz andere Probleme, die daraus erwachsen können. Auf der anderen Seite glaube ich, dass darin auch eine riesige Chance liegt, die Leute mit ihrem vollen Potenzial wirken zu lassen. Es gibt Leute, die können Sachen, von denen sie denken, dass sie bei der Arbeit nicht brauchbar oder angesagt sind, weil „das hier so nicht gemacht und nicht gebraucht wird“. Wenn aber eine:r super cool Ukulele spielen kann, kann sie/er vielleicht irgendwas davon hier einbringen. Für sich als Führungskraft darauf zu achten, aber auch auf die eigenen Leute zu achten, darin steckt Potenzial für Kreativität, für Neues und für Innovatives. Das brauchen wir alle total. Nicht von Anfang an dafür zu sorgen, dass jede:r gleichgeschnitzt wird, wenn sie/er erst einmal drin ist, sondern diese Unterschiedlichkeit, Charaktereigenschaften, Diversität zuzulassen oder vielleicht sogar ein Stück weit zu fördern. Das ist ein super Thema, das einfach positiv ist.

 

Thomas, danke für ein echt cooles, offenes Gespräch. Es hat mir total Spaß gemacht.

Mir auch.

 

Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://itsaboutleadership.podigee.io/.

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