It‘s about Leadership

Podcast „It’s about Leadership“ - Folge 16

14. Oktober 2020

Mit wem sprechen wir in dieser Folge?

Andrea Steverding und Vera Schneevoigt.

 

Aus welchem Bereich kommt unser.e Gesprächspartner:in?

In dieser Folge haben wir ein Doppelinterview am Start. Andrea Steverding ist Head of Marketing and Communications bei Oliver Wyman. Vera Schneevoigt ist Chief Digital Officer bei Bosch. Die beiden kennen sich und können viel zum Thema Leadership beitragen, weil sie das schon eine Weile machen und einiges an Erfahrung sammeln durften. Zum Beispiel die Erfahrung in unterschiedlichsten, männlich geprägten Umfeldern als weibliche Führungskraft, ohne direkt sichtbare Vorbilder, den eigenen Weg zu finden oder die Erfahrung, durch unterschiedlichste Krisen gegangen zu sein, sei es mit dem Unternehmen oder den Teams und wie sich das auf die Rolle ausgewirkt hat. Wir hatten viel zu besprechen, haben viel gelacht und hatten leider zwischendrin eine schlechte Tonqualität.

In Folge 16 sprechen wir:
- über Männer als Mentoren
- über Soziales Engagement
- darüber, was es heißt Pionierin in einem Umfeld zu sein, wo es noch nicht so viele weibliche Führungskräfte gibt
- darüber, ob es so etwas wie Female Leadership gibt
- darüber, dass der gesunde Menschenverstand an vielen Stellen sehr, sehr hilfreich ist.

Ich wünsche euch ganz viel Spaß mit diesem energiegeladenen Gespräch und diesen zwei wunderbaren Frauen.

 

Herzlich willkommen, liebe Vera und liebe Andrea, wunderbar, dass ihr da seid bzw. dass wir miteinander sprechen. Zu Beginn meine kleine Einstiegsfrage: von wo sprechen wir gerade miteinander?

Vera: Guten Morgen, liebe Jo. Vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit mit meiner Lieblingspartnerin in crime, Andrea, diesen Podcast zu machen. Es sieht so aus, als wäre ich in San Francisco. Aber das ist natürlich sehr tricky, weil der Hintergrund in Videokonferenzen ja so viel verrät, und dieses Hotelzimmer zwar sehr schön, aber auch sehr dunkel ist, also habe ich mich für San Francisco entschieden, während ich tatsächlich in Hamburg sitze.

Andrea: Liebe Jo, vielen Dank für die Einladung. Ich sitze gerade in München. Es ist Sommer, es ist sehr heiß, und ich habe den Luxus, hier in der Nähe meiner Kaffeemaschine zu sitzen und freue mich auf das Gespräch heute.

 

Sehr schön. Ich freue mich auch riesig. Das Ganze ist auf Twitter zustande gekommen, weil ich in einer Unterhaltung, die sich um das Thema Podcast drehte, dreist gefragt habe, ob ich euch beide nicht interviewen darf. Der Hintergrund für mich liegt darin, dass ich euch aus der Ferne immer ein bisschen beobachte und drei Dinge wahrnehme, die ich sehr spannend finde. Das eine ist, dass ihr beide mit dem Thema Leadership aufgrund eurer Rollen unterwegs seid, dass ihr aber beide auch gleichzeitig sehr engagiert seid, auch mit unterschiedlichen Themen über das Thema Leadership hinaus. Und dass ihr beide so wirkt, als wärt ihr sehr gut miteinander vernetzt bis befreundet. Da würde ich gerne mit euch ein bisschen tiefer reinschauen. In das ganze Thema Leadership, wie ihr es lebt, was euch trennt und verbindet. Da nicht alle Menschen auf Twitter unterwegs sind und euch kennen, wobei man euch auch aus ganz vielen anderen Ecken kennt, bitte ich euch, kurz zu beschreiben, wer ihr seid und was ihr macht. 

Andrea: Ich bin Kommunikations- und Marketingverantwortliche bei Oliver Wyman, einer Strategieberatung, die ein ganz breites Branchenportfolio hat. Mit meinem Team in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, kümmere ich mich darum, dass die Markenbekanntheit   größer wird, und wir unterstützen die Kolleg:innen vor allen Dingen in der externen Kommunikation. Das mache ich schon sehr lange. Ich bin, glaube ich, rund 20 Jahre in dem Unternehmen, in dem Konzern tätig, und ich brenne immer noch dafür.

Vera: Ich bin in vielen Sachen das Gegenteil von Andrea. Ich bin bei Bosch, einem Technologiekonzern, und dort seit anderthalb Jahren für die Digitalisierung der Gebäude zuständig. Im Bereich Gebäudetechnik kümmere ich mich darum, Infrastrukturen mit Software und IT zu verbinden, zum hoffentlich großen Nutzen unserer Kund:innen, aber auch unserer internen Prozesse, um letzten Endes zu helfen, die Transformation von Bosch von einem sehr stark Hardware-/Automobil-geprägten Umfeld in andere Wirtschaftsfelder zu erweitern.

 

Damit bist du eine der wenigen Frauen in technischen Positionen in diesem Bereich.

Vera: Noch!

 

Du arbeitest mit daran, dass sich das ändert?

Vera: Ganz massiv! Es ist alleine so langweilig. Deswegen brauche ich ja Andrea.

 

Guter Übergang. Verratet doch mal, wann ihr zwei euch erstmals über den Weg gelaufen seid. Wisst ihr das noch?

Vera: Andrea weiß das noch.

Andrea: Sowas kann ich mir gut merken. Wir haben uns das erste Mal auf Social Media gesehen, sehr lange verfolgt, was wir so machen, und dann haben wir uns im echten Leben, persönlich, mal bei einem Weitblick-Programm „Bayerns Frauen in Digitalisierung“, einem Talentprogramm, kennengelernt, weil wir dort beide Role models sind. Wir hatten uns herzlich zugewunken, kannten ja nur die Twitterbilder, diese kleinen Fotos, und wie oft stellst du, wenn du dich analog triffst, fest, dass das jemand sein könnte, mit der/dem du häufiger zu tun haben möchtest? Wir sind dann mal in ein Flüchtlingscafé gegangen, haben einen Kaffee miteinander getrunken, und daraus sind dann ganz viele Aktivitäten entstanden.

 

Weißt du noch ungefähr, wie lange es her ist, dass ihr euch in echt gesehen habt?

Andrea: Zwei Jahre?

Vera: Ja, zwei bis drei Jahre.

 

Das eine Thema, das du gerade angeschnitten hast, mit dem Flüchtlingscafé, hat vermutlich mit Veras Engagement in dieser Richtung zu tun?

Vera: Jein. Andrea liebt dieses Flüchtlingscafé, und da ich ja vor acht Jahren ein Landei geworden bin, bin ich immer ganz froh, Andrea zu haben, die in der Münchener Stadtszene extrem gut vernetzt ist. Sie hat mir gesagt, es gibt Café, das in der Nähe des Gärtnerplatzes ist. Ich hatte davon sehr viel gelesen, natürlich aus der Zeit der Flüchtlingswelle, den großen Kampf um dieses Gebäude und die Hochachtung davor, dass die Stadt, wie auch immer es gelungen ist, es geschafft hat, dieses Gebäude zu erhalten und komplett in Flüchtlingswohnungen umzubauen. Das Café kannte ich nur aus der Zeitung. Aber Andrea arbeitet in der Nähe und auch Lena Rogel wohnt in der Nähe, und beide hatten unabhängig voneinander davon geschwärmt, sodass ich ganz froh war, das auch mal in echt sehen zu können. Mittlerweile hat Andrea mich noch eingeweiht, dass oben auf dem Dach ein Fußballplatz gebaut wird, was ich ganz cool finde. Das erinnert mich sehr an New York oder eben an die großen Hochhäuser der Welt.

 

Ihr seid beide in sehr sichtbaren Rollen und in sowohl nach außen als auch nach innen sehr wirkungsvollen Rollen. Wie würdet ihr euer Verständnis von Leadership beschreiben?

 

«Leadership besteht aus drei Ks: Kooperation, Kommunikation und Koordination.»

 

Andrea: Leadership empfinde ich als etwas Positives und Spannendes. Leadership besteht aus drei Ks: Kooperation, Kommunikation und Koordination. Leadership hat etwas mit Menschen zu tun, wenn Führungskräfte auf Menschen, auf Personen in Organisationen oder auf Teams einwirken. Ich spreche von diesen Menschen nicht von Mitarbeiter:innen, sondern von Kolleginnen und Kollegen. Diese Zusammenarbeit und diese Energie, die dabei entsteht, ist ein sehr spannendes Thema.

 

Woher kommt es, dass dieser Unterschied für dich so wichtig ist?

 

«Sprache schafft Realität.»

 

Andrea: Sprache schafft Realität, sagt die Kommunikatorin. Ich glaube, dass man, wenn man den Begriff Mitarbeiterin und Mitarbeiter wählt, das eher hierarchisch ist, während Kollegin und Kollege sehr auf Augenhöhe ist. Daran glaube ich in einer teamorientierten Welt.

 

Vera, wie sieht das bei dir aus? Wie würdest du dein Verständnis beschreiben?

 

«Man kann nicht führen, wenn man keine Menschen mag.»

 

Vera: In großen Teilen deckt sich das mit Andrea, nur bin ich nicht so talentiert in der Kommunikation wie Andrea. Ich würde sagen, es ist extrem intrinsisch motiviert. Man kann nicht führen, wenn man keine Menschen mag. Es ist höchst abwechslungsreich und spannend. Ich habe eine lange Leadership- oder Führungsvergangenheit. Was ich nie gut fand, war, dass es ein reines Hierarchiemodell gab. Natürlich muss irgendjemand entscheiden, das ist wichtig. Aber ich glaube, dass der sehr kooperative, sehr integrative, vertrauensvolle Stil uns nie in so eine große Krise geführt hätte, wie ich sie jetzt bereits zum dritten Mal in meinem Berufsleben erlebe. Auf Augenhöhe bedeutet nicht gleiches Alter, gleiches Geschlecht, gleiche Religion, sondern es bedeutet Mindset und Einstellung.

Das ist das, was mich wahrscheinlich am allermeisten auszeichnet. Dass ich immer offen war und vollkommen ohne Dünkel und ich noch nicht mal weiß, wie meine Hierarchiestufe bei Bosch lautet. Was für Bosch-Leute ein Skandal wäre, wenn sie das jetzt hören würden.

 

Das wollte ich gerade fragen. Das ist wahrscheinlich eher ungewöhnlich in dem Kontext, in dem du dich bewegst.

Vera: Das könnte man so sagen, ja.

 

Leider können alle anderen das jetzt gerade nicht sehen, aber Andrea kommt aus dem Nicken gar nicht mehr heraus, wenn Vera beschreibt, was Führung für sie bedeutet. Da scheint eine hohe Resonanz zu sein. Ich bin mal so gemein und stelle die Frage, woran euer Umfeld merkt, dass dies euer Verständnis von Leadership ist. Woran merken deine Menschen um dich herum, Andrea, dass sie Kolleginnen und Kollegen und nicht Mitarbeiter:innen sind?

Andrea: Ich pack mit an. Ich guck nicht weg. Ich bin mittendrin. Ich motiviere und begeistere Leute gerne. Und dem, was Vera zum Thema Augenhöhe gesagt hat, kann ich nur zustimmen. Am Ende gibt es vielleicht jemanden, die/der entscheidet, das ist völlig klar, aber das Thema Augenhöhe geht über Alter, Geschlecht, Herkunft, sozialen Stand, soziale Bildungsherkunft hinaus. Da bin ich eine Verfechterin von Diversity und Inclusion. Das hat etwas mit Motivation zu tun. Sich gemeinsam auf den Weg zu machen, Ziele teilen können, für Ziele auch trommeln zu können. Das ist, glaube ich, für jeden Menschen, der lebt, der mit mir im selben Team ist, echt nicht übersehbar.

Vera (lachend): Da bin ich mir sicher.

 

Woran merkt dein Umfeld das, Vera?

Vera: Also zum einen natürlich daran, dass ich sehr lange Erfahrung habe und über eine, mir manchmal unverständlich, hohe Resilienz verfüge. Das heißt, dass ich relativ super krisenfest bin und nicht so leicht zu schocken. Es gibt wenige Dinge, die mich auf der Palme bringen. In der Regel ist das immer nur mangelnder Respekt, was bedeutet, dass ich versuche, immer respektvoll und würdevoll zu sein. Das hört sich sehr pathetisch an, ist aber insofern gemeint, als dass ich sehr früh einen Chef hatte, der als ich Anfang 20 war, gesagt hat: Guck mal, wenn du irgendwas in deiner Karriere mal machen musst, denk immer daran, dass du auf der anderen Seite sitzt. Überlege dir, wenn du jetzt angesprochen werden würdest, wie würdest du angesprochen werden wollen. Dieser Herr, ein wunderbarer Chef, ist bestimmt mittlerweile fast über 80 und hat mir in dem Moment so aus der Seele gesprochen. Überleg mal, er war damals so alt wie mein Vater und ich ein junges, aufstrebendes, vielversprechendes Talent in der Siemens AG. Manche Sätze, das geht wahrscheinlich jeder/m so, bleiben einfach hängen. Ich würde sagen, das ist das, was mich am meisten ausmacht bei meinen Leuten. Dass ich respektiere, dass sie Expertise haben, auch wenn ich sie selbst nicht habe. Und dass ich versuche, uns immer ein angemessenes, würdevolles Umfeld zu schaffen. Egal wie schwierig es ist oder wie leicht.

 

«Ich habe lernen müssen, dass ich für Dinge lauter einstehe, klarer bin, sage, was ich haben will.»

 

Andrea: Und ein gutes Gedächtnis hilft manchmal. Leadership kann man ja ganz oft betrachten, indem man Menschen zum Gespräch holt, die Führungskraft sind, die von Direct Reports sprechen, die große Radien bearbeiten. Aber ein Langzeitgedächtnis, mit dem man sich daran erinnert, was die eigenen Führungserfahrungen im Laufe der eigenen Karriere, mit denen ich vielleicht nicht so einverstanden war,  gewesen waren, das versuche ich immer wieder abzurufen. Und immer wieder, auch bei jüngeren Kolleginnen darzustellen, erst recht wenn ich sehe, dass jemand dieselben „Spezialitäten“ oder Fehler macht, die ich gemacht habe. Ich habe lernen müssen, dass ich für Dinge lauter einstehe, klarer bin, sage, was ich haben will. Es ist gut, sich darauf immer wieder zu beziehen. Ich finde, auch Führung mal aus der Sicht derjenigen zu betragen, die geführt werden, ist sehr spannend.

Vera: Das kann ich total unterstützen. Ich glaube auch, was bei mir auch zusätzlich noch dazugehört, ist, dass ich immer schon ein sehr unkonventioneller, mutiger Mensch bin. Das beeindruckt sehr viele Konzernleute, weil du ja eigentlich angepasst sein solltest. Zumindest vermeintlich. Ich bin der beste Beweis dafür, dass es auch ohne Anpassung geht. Ich habe eine absolute Superallergie gegen „Man macht das hier so!“ oder „Das haben wir aber noch nie so gemacht!“. Alles, was du tun kannst, um mich zu reizen, ist zu sagen: Okay, dann machen wir es jetzt mal anders! Natürlich nur dann, wenn es sinnvoll ist, etwas anders zu machen. Das ist in der jetzigen Zeit, aber auch in meinen Jobs der letzten zehn Jahre, ein ganz wichtiges Thema. Einzustehen, mutig zu sein, auch vor den Leuten zu stehen. Das ist übrigens auch so ein Satz: Ich stehe vor dir. Ja, ich stehe auch hinter dir, aber vor jemandem zu stehen, ist manchmal wichtiger, als hinter jemandem zu stehen. Weil dann vor mir jemand steht, von dem ich nicht möchte, dass sie/der der/dem anderen begegnet.

 

Definitiv seid ihr zwei weibliche Leader, die von vielen auch als Role model wahrgenommen werden. Die nach außen wirken und dadurch viel Inspiration geben. Meine Unterstellung ist jetzt, dass ihr nicht als fertige Führungskräfte auf die Welt gekommen seid. Was hat ihr für euch noch in Erinnerung, wie habt ihr über die Jahre euer Verständnis von Leadership entwickelt?

Andrea: Ich bin lauter geworden, expliziter, selbstbewusster. Das musste ich mir erarbeiten. Es mag ein bisschen merkwürdig klingen, aber mir hat es in den letzten vier, fünf Jahren geholfen, mich auf Social Media auch mit meiner Meinung zu zeigen. Mich hat’s davor nicht wirklich spürbar gegeben. Der Austausch, diese Inspiration von außen, dieses große Klassenzimmer, die große Learning Exercise, das große Gemeinsame, was es auf Twitter gibt, hat mir beim Austausch geholfen. Und das habe ich auch in meine eigene Entwicklung und meine Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen reinnehmen können.

 

Du hast es gerade gesagt. Lauter und explizitier werden, dieses Sichtbarwerden und den eigenen Standpunkt anders zu vertreten …

 

«Einfach mal machen.»

 

Andrea: Ja, den eigenen Standpunkt anders zu vertreten oder auch einfach mal zu probieren, Dinge auch spielerisch zu nehmen und meine Kolleginnen mitzunehmen. Zu einer Kollegin sagen, dass sie in ein Netzwerk gehen soll oder mal etwas Internationales auszuprobieren, was hier jetzt passen könnte. Einfach mal machen. Ich war immer schon sehr pragmatisch. Ich arbeite in einer Branche, die pragmatisch sein kann und die sich auf Kundenwünsche einstellt. Das war, glaube ich, bei mir die spürbarste Entwicklung.

 

Vera, wie war es bei dir? Was hat sich so bei dir entwickelt?

 

«Wenn du besser, klüger und weitsehender als Männer bist, ist das sehr anstrengend.»

 

Vera: Gott, das ist schon so lange her. So eine Frage am frühen Morgen.

Ich glaube, ich war immer schon eine Führungspersönlichkeit. Ich war Klassensprecherin, Schulsprecherin und habe, wahrscheinlich in meiner Vita begründet, nie Angst vor Verantwortung gehabt. Ich war immer mutig, habe eine dicke Fresse gehabt, bin vorangegangen und dachte danach: Oh Gott, warum hast du nicht einmal für einen Moment nachgedacht? Es hängt mit meinen Eltern und Großeltern zusammen, dass ich über solch einen hohen Gerechtigkeitssinn und einen sozialen Ausgleich verfüge. So musste ich aber auch lernen, dass die Welt 1. nicht gerecht ist und ich 2. meine Einstellung nicht zu 100 Prozent auf andere projizieren kann. Ich finde, man lernt erst im Leben, mit Lebenserfahrung, dass es unterschiedliche Menschen gibt. Bei Andrea und mir wusste ich, dass es passt, aber es gibt Menschen, bei denen weiß ich innerhalb einer Millisekunde, dass es niemals passen wird, egal, was jede/r von uns machen würde. Zu akzeptieren, dass dem so ist, war für mich, ganz zu Beginn meiner Führungstätigkeit, schwierig. Ich kann nicht jeder/m gefallen, es kann nicht alles toll sei, es ist nicht immer alles harmonisch. Heute würde man es mir vermutlich nicht mehr abnehmen, aber streiten zu lernen, war für mich eine schwere Aufgabe. Und zwar streiten zu lernen im guten Sinne, aber auch kämpfen zu lernen. Denn wie du schon anmerktest, bin ich eine der wenigen weiblichen Individuen in einem 35 Jahre währenden männlichen Leben. Es hat viel geholfen, dass ich schon sehr früh mit Jungs Fußball gespielt habe und teilweise besser war als sie. Aber das alleine reicht halt nicht. Du musst auch nicht die Ambition haben, mit allen Männern mithalten zu müssen. Eine zweite große Lerngeschichte ist: Wenn du besser, klüger und weitsehender als Männer bist, ist das sehr anstrengend. Das heißt, das Repertoire von Weltklassetricks und charmantem Was-weiß-ich-was, um meine Interessen durchzusetzen, war sehr anstrengend. Und das dritte, was ich wirklich lernen musste, da ich eine sehr steile, sehr schöne Karriere hatte, weil ich tatsächlich sehr stark zwischen persönlich und geschäftlich unterscheide. Ich bin als Mensch, glaube ich, genauso. Natürlich ein bisschen anders in meiner Arbeit, weil da andere Dinge gefragt sind. Aber dieses „Ich darf Sachen persönlich nehmen, wenn sie persönlich gemeint sind“ und auch herauszufinden, ob es jetzt persönlich ist oder nur ein Verhandlungstrick, nach dem Motto „Da ist ein Punkt, da treffe ich jemanden und das nutze ich aus“ ...

 

Was war für dich die Herausforderung beim persönlichen Wachsen?

Vera: Wenn du so bist wie ich, gehst du davon aus, dass alle anderen auch so sind. Ich war in meiner Familie die Erste, die in solch eine Konzern- und Industriewelt ging. Da war niemand, der sagen konnte: „Pass auf, wenn du in einem Konzern arbeitest, da gibt es Netzwerke!“ Naja, ich komme aus den 1980er-Jahren. Wenn ich an meinem Schreibtisch im Großraumbüro saß, hatte ich mein Netzwerk vor mir. Dass ich immer so weitreichend interessiert bin, strengt das Leute natürlich auch an. Zum einen zeigt es, dass ich gebildet bin und mir Bildung wichtig ist, zum anderen, dass ich denke, dass das Leben total langweilig ist, wenn ich mich nur um meine Tätigkeit kümmern würde, die an meinem Schreibtisch stattfindet. Das fand ich aber völlig normal, weil ich ja immer so bin und meine Freund:innen mich deshalb auch mögen. Ich hatte vielleicht deswegen auch weniger Freund:innen als andere, aber das hat mir nie etwas bedeutet. Das im Kontext von meiner persönlichen Wichtig-, Dringlichkeit- und Wertebasis zu übertragen und in ein Konzernumfeld zu abstrahieren, das, gerade wenn es schwierig wird, plötzlich zum großen Problem werden kann, hat sehr lange gedauert. Witzigerweise hat es sehr lange gedauert, bis es zum ersten Mal zum Vollclash kam. Aber der war dann richtig heftig. Auch für mich.

 

«Probier dich aus! Nutz die Synergien! Schaff ein Wir!»

 

Andrea: Diese Fälle, die einer/m über den Weg laufen, finde ich auch ein spannendes Thema, Vera. Da möchte ich noch ein Thema, was eher so von erzählt, beisteuern. Dieses Mentoring, Sponsoring, Coaching. Das gehört genauso bei jeder Führungskraft dazu. Das ist heute, glaube ich, ein riesiges Trendthema. Das gibt’s da organisiert. Aber so wahnsinnig lange gibt es das noch nicht. Ich weiß nicht, wie es dir gegangen ist, mir lief dieses Thema vor fünf, acht Jahren das erste Mal über den Weg, als eine erfahrene Führungskraft mir plötzlich ein Sparring gab und mir sagte: „Warum nicht mal in die Richtung gehen, warum nicht mal das machen?“ Aus dem Austausch und dem persönlichen Interesse, an etwas gemeinsam zu arbeiten, ohne dass ich wusste, dass man das Mentoring oder Sponsoring dieser Person nennen könnte, gab es eine wahnsinnige Kraft. Ich halte das für jede/n enorm wichtig, die/der eine Führungsrolle anstrebt. Meinem früheren, sehr viel jüngeren Ich würde ich das auf den Tisch legen und sagen: Probier dich aus! Nutz die Synergien! Schaff ein Wir! Kalibrier, was du dir bei Führung und bei Teamarbeit vorgenommen hast! Und auch für Entscheidungsprozesse, fürs Streiten. Daraus entsteht einfach etwas Innovativeres.

Vera: Das ist ein ganz wichtiger und guter Punkt. Ich glaube, dass mir das auch geholfen hätte, hätte ich das früher gehabt. An dieser Stelle ist mir Diversität zum ersten Mal aufgefallen und dass es mir nichts nützt, wenn ein Mann mein Mentor ist. Nicht, weil dieser Mann nicht wundervoll war, aber ich hatte immer das Gefühl, dass mich keiner versteht. Tatsächlich habe ich das Thema Coaching nie gekannt, bis ich 2005 zwei Führungsstufen übersprungen habe. Dann hat ein wirklich ganz reizender HR-Führungskräfteentwickler, den es damals noch in einer Qualität gab, die ich mir heute zurückwünschen würde, der gesagt hat: „Vera, das kannst du alleine nicht. Du brauchst Unterstützung“. Und ich fragte mich, was er meint. Dann sagte er: „Pass auf, wir haben so ein Coachingprogramm, da gibt es Coaches, die darin gelistet sind und du kannst dir jemanden aussuchen. Ich hätte dir eine Empfehlung zu geben, ist das okay?“ Ich antwortete: „Ja, klar. Ist es eine Frau?“ und er bejahte. „Das wollte ich dir anbieten, weil ich glaube, dass du jemanden brauchst, der Erfahrung in Konzernen hat.“ Das war meine Rettung. Ich glaube, ohne diese Dame hätte ich das niemals geschafft.

 

Tatsächlich ist es ja schon eine Ausnahme, dass es überhaupt jemanden gab, denn in vielen Schritten eurer Karrieren wart ihr ja „die ersten, die …“

Vera: Ja, genau.

 

Hoffentlich ist es, wenn es um das Thema Frauen in Führung geht, heute etwas einfacher, die Rollenmodelle zu finden. Dann geht es eher um andere Rollenmodelle, beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund in Führung. Habe ich da die Sichtbarkeit, kann ich da den Austausch finden?

Thema Female Leadership: gibt es das und wenn ja, was wäre das aus eurer Sicht?

Vera: Also wir sind female. Dann ist wohl mein Leadershipstil weiblich. Aber das liegt daran, dass mein Geschlecht weiblich ist. Ich weiß es nicht. Vor fünf oder zehn Jahren hätte ich dir eine andere Antwort gegeben, aber ich halte es für vollkommen überholt, in diesen Sorten zu denken. Ganzheitlichkeit ist extrem wichtig, und die Talente, die ich habe, sind andere als die, die Andrea hat. Ich kann nur sagen, nur Komplimentärumgebungen, in denen verschiedene Talente und Fähigkeiten zusammenkommen, bringen eine gute Leadership-Kultur und Vibrations. Das ist die einzige Zusammenfassung meines langen Führungskräftelebens, die für mich valide ist.

 

«Wenn es noch niemand gemacht hat, dann will ich das genau mal ausprobieren

 

Andrea: Ich stimme dem zu, was Vera sagt. Allerdings muss ich hinzufügen, dass bei mir eine weibliche Führungskraft, die vor einigen Jahren plötzlich mit mir zusammenarbeitete und an die ich berichtete, eine große Relevanz hatte. Aber es ist genauso, wie Vera das sagt: es ist ein paar Jahre her, und da war jemand anders als die Ebene der Führungskräfte im Top-Management, die um sie herum waren. Da habe ich das erste Mal diese disruptive Kraft gesehen, die darin liegt, dass Unterschiede auf den Tisch kommen oder dass etwas angestrebt wird, was vorher niemand gemacht hat. Ich könnte Pipi Langstrumpf anbringen: Wenn es noch niemand gemacht hat, dann will ich das genau mal ausprobieren. Das ist der große Reiz. Insofern stimme ich der Vera zu. Die entscheidende Frage ist nicht female Leadership oder eine andere Kategorie zu nehmen, sondern immer, wenn wir unterschiedlich sind, wenn wir mit neuen Perspektiven an etwas herangehen, dann treibt es uns zu mehr Reibungsfläche, im besten Fall mehr Kraft und vielleicht auch zu etwas Spannenderem, Innovativerem. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Auf jeden Fall ist es weniger langweilig als Monokulturen.

 

Wahrscheinlich ist es so, wie ihr es beschreibt. Es gab einen Moment, da war das Andere das Disruptive und wird jetzt vielleicht insofern zur Normalität, da die Dinge, die man female Leadership zuschreibt, sich ja auch immer wieder in männlichen Führungskräften wiederfinden. Einfach weil die Erkenntnis da ist, dass bestimmte Dinge in bestimmten Situationen anschlussfähig sind und gut funktionieren. Unabhängig davon, ob eine Frau das macht oder ein Mann.

Vera: Also ich kann dir sagen, hätte ich keine male Leadership skills wäre ich never ever da, wo ich jetzt bin. Ich glaube, dass meine male Leadership skills deutlich ausgeprägter sind. Falls ich wüsste, was genau female Leadership skills sind.

Um nochmals anzuknüpfen an das, was Andrea sagt: das musste ich auch lange lernen. Ich arbeite jetzt zum allerersten Mal, am Ende meiner großartigen Konzernkarriere, für eine Frau, was ein expliziter Wunsch von mir war. Zufälle und Glück spielen natürlich auch eine Rolle. Natürlich werde ich oft gefragt, ob es ein Unterschied ist. Klar ist es ein Unterschied, es ist ja ein anderer Mensch, eine andere Biografie und Karriere. Tanja kommt aus einem reinen Softwareumfeld, ich komme aus einem Hardware-/Softwareumfeld, wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, aber wir haben definitiv eines gemeinsam. Das ist unser Anspruch an Werte. Das ist für mich fast viel wichtiger. Ich hatte ganz viele tolle männliche Chefs, die wahrscheinlich ein Wertegerüst hatten, das mich so geprägt hat, dass ich es einfach lächerlich finde, diese Frage zu stellen, ob ich mit Männern arbeiten kann. Ich wurde das mal bei einer Preisverleihung gefragt. Meine Antwort war: „Das ist der Brüller des Abends, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich nicht mit Männern zusammenarbeiten kann. Da würden sich alle totlachen.“ Mein ganzes Leben arbeite ich mit Männern. Ich bin mit einem verheiratet, habe drei Jungs und einen männlichen Hund. Also bitte, mein halbes Leben ist männlich. Aber darum geht es nicht. Ich glaube, dass es einfach so ist, dass man so ist wie man ist, und manchmal kommt man in einem männlichen Umfeld besser klar und in manchen Situationen in einem weiblichen. Es gibt nie eine Situation, in der Diversität oder Inklusion nicht den entscheidenden Unterschied zum Teamerfolg gemacht hat.

 

Vera, du hattest vorhin was von drei großen Krisen in deinem Leadership-Leben gesagt. Was waren denn bisher eure größten Herausforderungen in euren Leadership-Rollen?

Vera: Naja, alles ist in so einem Konzern ja wunderbar geregelt. Ich bin gerade in Hamburg und hatte vier wunderbare Gespräche mit Gründer:innen und bin immer noch in Ehrfurcht erstarrt, weil jedes Gespräch mit einer/m Gründer:in für mich bedeutet, dass das Menschen sind, die ein persönliches Wagnis eingegangen sind. Sie haben sich entschieden, ihre eigene Firma zu gründen. Jetzt arbeite ich ja für Robert Bosch, und Robert Bosch hat eine wundervoll bezeichnende Biografie, die ich gestern aus verschiedenen Gründen nochmals teilweise gelesen habe. Und dass ich das nicht als junger Mensch geschafft habe, ist mir ein echter Dorn im Auge. Aber wahrscheinlich wäre ich auch nie so erfahren geworden, hätte ich nicht die Vorteile von Konzernen gehabt. Das ist ein geschützter Raum. Du hast Entwicklungsprogramme und sonstige Dinge, aber es ist natürlich auch so ein bisschen tricky, weil du das Gefühl hast, wenn alles gut läuft, kommst du immer weiter, es gibt einen Karriereplan, blablabla.

 

«Es war die größte Erschütterung meines Lebens

 

Die erste ganz große Krise war der Bestechungsskandal bei Siemens. Der war mitten in dem Prozess, wo man sich entschieden hatte, die Communications zu verkaufen und aufzulösen. Zwei solch gegeneinander sprechende Zustände sind per se schon mal eine Krise für eine Firma. Ich war damals in sehr, sehr verantwortungsvoller Position für beide Teile und merkte, dass die Welt viel schlechter ist als mein geschützter Siemens-AG-Komfort-Place es mich jemals hätte erahnen lassen. Ich würde sagen, es war die größte Erschütterung meines Lebens. Abgesehen von meiner Scheidung. Leider kamen diese beiden Ereignisse auch noch zeitlich zusammen. Das war ein bisschen viel auf einmal. Die sich daran anschließende Krise war die Finanz- und Wirtschaftskrise, das heißt verkauft worden zu sein an Private Equity. Wer auch immer in dieser Zuhörerschaft weiß, was das bedeutet, brauche ich nicht weiter auszuholen. Von einer komfortablen, sehr organisierten, langsamen, prozessorientierten, fokussierten Lahmarschigkeit in allem, hin zu den schnellen Entscheidungen, gewinnbringend, immer nur optimal führen ... Und das wirklich in einem Krisenumfeld, wo ja die Welt drumherum, vermeintlich, zusammenbrach. Dass so etwas wie jetzt passiert, konnte ich zu dem Zeitpunkt ja nicht wissen. Es war halt eine extern verantwortete Krise, die aber intern ganz massive Herausforderungen an mich stellte. Ich glaube, das war meine wirklich schwierigste Führungsfunktion, weil sich in dem Umfeld ja auch die ganzen Restrukturierungen und Standortschließungen, die ich machte, angeschlossen haben.

Die dritte große Krise ist dann die, die jetzt ist. Corona. In der Coronakrise kristallisiert sich die digitale Transformation als elementar wichtigster Baustein heraus, von dem ich natürlich schon seit Jahren überzeugt bin, während mein Umfeld immer sagte, dass wir das nicht brauchen. „Das wird alles überbewertet, Frau Schneevoigt“. Ich sage dann, dass das nicht überbewertet wird, weil es ja schon da ist.

 

«Als Führungskraft merkst du genau in diesen Krisen, ob du krisenfest bist und das überhaupt kannst

 

Das sind drei unterschiedliche Krisen. Als Führungskraft merkst du genau in diesen Krisen, ob du krisenfest bist und das überhaupt kannst. Das lässt sich vorher nicht üben. Du bist da drin und kannst dich dann fragen, ob du es magst oder nicht. Du musst es mögen und umarmen können, denn du brauchst all deine Kraft für deine Leute. Für das Team, für das Alignment, für das Stakeholder-Management. Nur dann kannst du letztendlich sicher sein, dass du im Auftrag deines Arbeitgebers, deiner Arbeitgeberin, aber auch im Auftrag deiner Werte, diese Krise managt.

 

Wow. Danke schön!

 

«Krisenfestigkeit ist total wichtig

 

Andrea: Da war das Stichwort, liebe Vera. Werte. Ich glaube, das ist ein riesiger Fokus. Wenn ich an Leadership-Erfahrungen und an mein eigenes Versprechen mir selbst gegenüber denke, dann ist das Thema Werte in einer Krise genau das entscheidende. Ich könnte diese exogenen Krisen noch ergänzen und in meine Kindheit zurückgehen: Ölpreisschock oder Golfkrieg. Wie hat man das erlebt, was hält zusammen? Zusammen halten Gruppen, sich Werten verpflichtet fühlen, die Ruhe bewahren. Die Finanz- und Wirtschaftkrise hat sich für mich, in Unternehmen tätig zu sein, anders angefühlt als die Coronakrise, weil jetzt mehr Solidarität da war. Das Thema Krisenfestigkeit zu navigieren, all das was zu Leadership gehört, geht, wenn du dich bestimmten Werten, Menschen, dem Unternehmen, dem Business gegenüber verpflichtet fühlst, das kalibrierst und krisenfest in deiner Kommunikation bist, indem du Transparenz schaffst. Wir sind ja ganz frisch in einer riesigen Krise, der Pandemie, was gezeigt hat, dass Solidarität und das Gefühl, sich verpflichtet zu fühlen, besser hilft, als einfach mal durchzuwurschteln. Das Thema Haltung. Wofür stehst du ein? Was packen wir jetzt an? Nicht aufgeben. Krisenfestigkeit ist total wichtig.

 

Was waren denn bei dir, Andrea, die Situationen, in denen du gemerkt hast, dass du genau das brauchst? Was waren deine Herausforderungen?

 

«Gesunder Menschenverstand hilft

 

Andrea: Meine Herausforderungen waren die Wirtschafts- und Finanzkrise, die geplatzte Dot.com-Bubble, überall dort, wo sich große makroökonomische Krisen ergaben, die zu Änderungen des Geschäfts im Beratungsmarkt führten. Der Einstieg in die Pandemie war auch eine Krise, weil wir so etwas noch nicht kannten. Ich habe es ja gerade schon erwähnt, dass wir Kriege, Terrorismus und Naturkatastrophen kannten, aber das Thema Pandemie, wenn es so unmittelbar und aktuell ist, schon auch ein erschütterndes Erlebnis ist. Wie macht man das? Man bringt dort, wo man kann, die Leute ins Homeoffice. Man schafft Plattformen des Austausches. Man kommuniziert transparent. Man bringt sich für das Unternehmen und auch für die Mitarbeiter:innen ein, die alle unterschiedliche Situationen haben: Home schooling, Pflege von Angehörigen, Kurzarbeit bei dem/der Lebensgefährt:in. Wie navigiert man mit gesundem Menschenverstand da durch? Das ist immer im Zusammenhang mit Krise zu sagen: gesunder Menschenverstand hilft.

Die spannendsten Cases sind ja die, die wir noch nicht erlebt haben, und dann kannst du nur nach Träumen, Werten und Gewissen da durchnavigieren.

Vera: Sehr schön gesagt, Andrea. Der gesunde Menschenverstand ist wahrscheinlich das, was Andrea und mich verbindet.

 

Und wo ihr wahrscheinlich merkt, dass ihr das gleiche Verständnis davon habt, was ihr mit gesundem Menschenverstand meint. Das ist ja nicht immer dasselbe.

Vera: Das stimmt, ja.

 

Was ich bei euch aus der Ferne immer sehr beeindruckend finde, ist, dass ihr euch nicht nur zu eurer Rolle, zu dem, was ihr macht, inhaltlich äußert, sondern dass ihr euch auch zu gesamtgesellschaftlicheren Themen äußert. Das Thema Female Empowerment kann man bei euch rauslesen. Ihr scheint euch bewusst zu sein, dass ihr Rollenvorbilder seid und versucht, das zu nutzen. Vera, bei dir kommt auch noch das Engagement im Themenbereich Flüchtlinge dazu. Wie kam es dazu, dass ihr angefangen habt, auch noch eine andere Form von Leadership reinzunehmen, nämlich dieses Gesamtgesellschaftliche?

Vera: Da lasse ich gerne Andrea den Vortritt.

Andrea: Vielen Dank, Vera. Kommen wir zu den großen religiösen Themen, auch in der Kommunikation. Wenn du an etwas glaubst, wirst du dich in einer Gruppe bei gewissen Themen äußern. Vera und mich eint das Interesse daran, dass wir, wenn wir etwas lernen, wir einen Trend sehen, den wir vielleicht nicht so unterschreiben, getrieben von humanistischen Werten, in einem Netzwerk nicht weggucken und schweigen.

Ich gehe nicht durchs Leben, stehe morgens auf und sage: Wow, ich bin ein Role model, wie muss ich mich jetzt verhalten? Das ist mir sowas von vollkommen egal. Ich überlege mir, welche Themen ich unterstützen möchte, welche Themen mir am Herzen liegen, für was ich brenne und an diesen Stellen beteilige ich mich. Du wirst bei mir nicht erleben, dass ich mich zum Beispiel zu großen Unternehmens- oder Managemententscheidungen äußere. Das mache ich nicht. Aber zu politischen und weltanschaulichen Themen äußere ich mich. Ich versuche immer beim Thema Leadership, Entwicklung beizusteuern, denn ich erinnere mich immer, dass ich mir gewünscht hätte, wenn mir vor 15 Jahren jemand das gesagt hätte. Dann hätte ich anders navigieren können. Das ist ein wahrer Treiber in mir, warum ich eine gewisse spielerische Lust habe, mich dann auch zu Themen einzubringen. Auch jenseits von female Empowerment.

 

«Wir hatten Betriebsratssitzungen bei uns im Wohnzimmer, haben Tarifverhandlungen um Taschengeld gemacht

 

Vera: Zum Thema Role model schließe ich mich Andrea an. Außer wenn du oder Externe mich das fragen, habe ich mir noch nie darüber Gedanken gemacht. Es ist tatsächlich so, dass wahrscheinlich diese Unprätentiösheit, die uns beiden eigen ist, Bodenständigkeit und Herkunft und die Aussage, dass ich eben nicht aus Berlin, Hamburg oder München komme, sondern aus Rheinland-Pfalz, halb aus dem Westerwald, halb aus der Eifel, uns auch enorm erdet. Das erklärt auch bei mir ganz easy, warum ich mich engagiere. Jede/r, die/der Kinder hat, weiß, dass Prägung im Elternhaus stattfindet. Da ich keine leiblichen habe, sondern Pflegekinder, ist das vielleicht besonders bedeutsam, sich damit auseinanderzusetzen. Mein Vater war 40 oder 50 Jahre lang Politiker. Dass ich mich zu Politik äußere, habe ich sozusagen mit der Vatermilch aufgesogen. Wir hatten Betriebsratssitzungen bei uns im Wohnzimmer, haben Tarifverhandlungen um Taschengeld gemacht. Da brauchst du dich nicht zu fragen, warum ich politisch interessiert bin. Es hat aber auch dazu geführt, dass mein Bruder zum Beispiel zwar in eine Partei eingetreten ist, was ich nie in meinem Leben gemacht habe oder jemals tun werde, sich aber politisch ganz anders engagiert. Obwohl wir denselben Vater und die gleiche Kindheit hatten. Bei mir kam noch die unendliche Neugier nach der Ferne hinzu. Mein Leben lang wollte ich auswandern. Mit 16 Jahren schrieb ich meinen ersten Brief an die australische Botschaft mit der Frage, wie ich am schnellsten nach Australien kommen könnte. Die schrieben damals sehr nett zurück, dass ich erst einmal meinen Schulabschluss machen und mich dann noch mal melden solle. Weißt du, das waren immer so Sachen, die halt so waren. Ich war schon als Kind sehr engagiert, wurde sehr religiös erzogen, Werte waren da, und darüber wurde auch nicht diskutiert. Du denkst, dass das bei jeder/m so ist, denn du gehst ja nicht rund und fragst, wie die anderen erzogen werden. Es ergibt sich.

Ich habe sehr früh, viel zu früh, geheiratet. Das ist ein Fehler, den ich sehr bereue. Es hilft, pragmatisch zu sein und sich zu denken, dass alles für alles gut ist. Aber ich habe da gemerkt, wie sich dieses Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau entwickelt, wenn erst alles easy und auf Augenhöhe ist, aber dann eine wie ich bessere Entwicklungschancen bekommt und diese auch annimmt. Daher kommt sicherlich auch dieses female Empowerment und zu sagen: Verflixt noch mal, was soll das denn in dieser blöden deutschen Gesellschaft, die so tut, als gäbe es Rabenmütter? Was soll das eigentlich sein?! Warum gibt es keine Bildung und Kinderbetreuung? Ich hatte so viele Kolleginnen, die am Rande eines Nervenzusammenbruchs standen, weil alles so schlecht organisiert war. Ich meine, ich bin Betriebswirtschaftlerin und Saniererin im Herzen. Das heißt, dass ich immer total dagegen bin, wenn etwas nicht optimiert läuft. Das kostet eine unendliche Verschwendung von Geld. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass meine Mutter sich sehr, sehr früh, aus der Kirche kommend, in der Flüchtlingshilfe engagiert hat. 1988 hatten wir erstmals ein libanesisches Kind. In der Klinik, in der mein damaliger Mann gearbeitet hatte, sollte es eine Niere von seinem Bruder bekommen. Das hatte aus medizinischen Gründen nicht geklappt, und der Bruder musste ad hoc zurück in den Libanon. Das war zu Zeiten des ersten oder zweiten Bürgerkrieges. Mein Mann kam nach Hause und schlug vor, den Jungen für eine Woche zu uns zu nehmen, da eine neue Niere gesucht wurde. Ich sagte sofort ja. Wir haben dann mit Yusef ein sehr interessantes Leben geführt und haben zum ersten Mal gesehen, was es bedeutet, wenn du in einem Kriegsland groß wirst, eigentlich so ein lebensfroher Mensch bist und trotzdem diese Chancen nicht hast. Obwohl du alle Fähigkeiten vom lieben Gott mitbekommen hast, hast du keine Chance, weil deine Gesundheit so kaputt ist. Das hat mich sehr tief geprägt, und ich habe dann erst einmal eine lange Pause gemacht.

 

«Ich war ja immer privilegiert, gehörte immer zu den Top 10-Prozent, denen es richtig gut geht

 

Ich war sehr viel in Brasilien, habe nie die Augen vor den armen Teil dieser Gesellschaften verschlossen. Ich war ja immer privilegiert, gehörte immer zu den Top 10-Prozent, denen es richtig gut geht. Trotzdem habe ich immer gesehen, dass in São Paulo Kinder sitzen, die Dämpfe einatmen und die nicht so ein Glück hatten wie ich. Dann kam die große Flüchtlingskrise 2015. In den 1980er Jahren hattest du noch ein oder zwei Nachrichtensendungen am Tag sowie die Tageszeitung. Doch diese Omnipräsenz von Informationen, im Guten wie im Schlechten, hat dann noch mal diese Dringlichkeit viel deutlicher hervorgebracht als vielleicht in den Flüchtlingskrisen vorher.

 

Man merkt bei dem, was ihr beide schildert, dass es sich um ein impulsives, intrinsisch motiviertes Gefühlt handelt, dass ihr euch zu unterschiedlichen Themen zu Wort meldet. Ich möchte euch gerne spiegeln, dass man merkt, wie wichtig euch das ist und dass es keine strategisch besetzten Themen sind. Auch das gibt es ja in der Zwischenzeit viel.

Vera: Danke schön!

 

Der Unterschied ist definitiv erkennbar, dass es euch wirklich am Herzen liegt. Von daher von meiner Seite ein ganz banales „Danke dafür, dass ihr das macht! Ich finde das wirklich gut.“

Andrea: Danke.

 

Bevor uns gleich die Zeit wegläuft, das Frühstück bei Vera wartet und die Hitze in Andreas Wohnung immer unerträglicher wird, obwohl wir erst kurz vor 9 Uhr haben, habe ich noch eine Frage an euch. Ich habe euch gefragt, ihr habt erzählt, aber was habe ich euch vielleicht nicht zum Thema Leadership gefragt, was euch noch wichtig wäre.

 

«Ich glaube, dass Leadership jetzt bedeutet, andere Formen der Führung zu finden

 

Vera: Ich könnte mal kurz aus der technischen Sicht anfangen und was Andrea mit der Pandemie gesagt hat. Ich glaube, dass es nicht mehr geht, die Themenfelder voneinander zu unterscheiden, also diese sequentielle Sache. Leadership hat jetzt die Anforderung, alles gleichzeitig zu sehen, zu beurteilen und danach zu entscheiden. Das ist für mich der große Unterschied. Nicht nur durch die Pandemie, doch die hat das noch mal verstärkt. Ich glaube, dass Leadership jetzt bedeutet, andere Formen der Führung zu finden. Ich habe mein Team in meinem Traditionskonzern gebeten, sich für das nächste Jahr zu überlegen, ob wir neue Leadership-Modelle ausprobieren wollen. Nicht nur, weil ich daran Spaß habe, sondern weil es darum geht, dass wir Sachen wie Agilität in Forschungs- und Entwicklungsprojekten haben, Technologie omnipräsent ist und Differenzierung nur über irgendetwas anderes stattfindet. Die Technik ist da, es gibt alles in Open Source, du kannst eigentlich alles machen, was du willst. Und da ist ein bisschen die Gefahr, dass, wenn alles geht, wofür entscheidest du dich? Die Herausforderung zu moderieren und neue Führungsfunktionen, wie zum Beispiel Doppelspitzen, Teamführung oder gewählte Führung im Konzern auszuprobieren, halte ich gerade in meinem Digitalbereich, der ja auch Vordenker- und Innovationsqualität hat, für extrem wichtig. Die Resonanz war verhalten positiv. Mal schauen, was wir daraus machen. Es wäre wirklich ein Ziel für mich, das in den nächsten Jahren auszuprobieren. Dass ich auch eben diese Führungsfunktion abgeben kann, was aber nicht heißt, dass ich nicht immer die Verantwortung behalte. Die Verantwortung dafür, was wir machen, trage immer ich.

 

Spannend. Danke!

Andrea, was habe ich dich nicht gefragt, was dir noch wichtig wäre?

Andrea: Ich finde, ich habe die Fragen, die mir wichtig waren, wiedergefunden. Eine Frage hätte noch sein können, wen man mal interviewt, die/der aus der Führungsperspektive spricht und erzählt, was Ups und Downs, was positive und negative Erfahrungen sind.

Zum Glück hast du nicht gefragt, was Vera und mich eher trennt. Darüber habe ich mich gefreut, weil du zu Beginn gesagt hattest, dass wir sehr befreundet wirken, wir über das Verbindende und Trennende sprechen, aber ich glaube, wir sind nicht dazu gekommen, was das Trennende ist. Aber weißt du was? Ich finde es gut, wenn solch eine Frage nicht gestellt wird, denn es klingt ja danach, als würden Vera und ich noch mal einen Podcast miteinander machen …

 

Lachen.

 

Ganz, ganz herzlichen Dank. Es war ein tolles Gespräch. Wenn es nach mir ginge, würde ich gerne noch stundenlang weiterreden. Danke für eure Einblicke in Sachen Leadership und eure Arten und Weisen, an Themen ranzugehen.

Andrea: Vielen Dank dir.

Vera: Vielen Dank, Jo.

 

Wer das Gespräch nachhören möchte, kann dies hier tun: https://itsaboutleadership.podigee.io/.

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